Altes Herz geht auf die Reise - Roman
sie verblüfft. Und plötzlich lachte sie. »Ach, Herr Amtsgerichtsrat, der Herr Professor Kittguß, der ist doch so, daß ich mir ganz erwachsen und erfahren vorkomme …, er ist doch ganz wie ein Kind …«
»Es gibt auch böse Kinder, Rosemarie!«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Der Herr Professor ist immer gut. Er ist überhaupt der beste Mensch von der Welt!«
»Na, na!«
»Er ist so gut, daß er gar nicht versteht, wie schlecht die Schliekers eigentlich sind, und immer meint, sie wollen Gutes, sie verstehen es nur nicht anders.«
Der Amtsgerichtsrat sah das Mädchen aufmerksam an. »Erzähl mal mehr von ihm, Rosemarie …«
»Ja – als ich ihn zuerst sah, war ich ganz verzweifelt, denn ich wollte Schliekers doch reinlegen, aber er sagte, eine gute Sache ginge nur mit der Wahrheit …«
»Und –«
»Und dann habe ich gesehen, er hat recht. Und darum bin ich auch einfach von Schliekers fortgelaufen und will ihnen auch nichts Übles mehr tun. Sie werden schon von allein zu Ende kommen, es wird schlecht mit ihnen ausgehen …«
»Es geht Schliekers schon sehr schlecht«, sagte der Amtsgerichtsrat ernst. »Frau Schlieker bekommt wieder epileptische Anfälle, und ihn hat Bauer Gau böse zugerichtet …«
»Ich habe es gesehen«, flüsterte sie und schloß angstvoll die Augen. Sie war still, dann legte der Amtsgerichtsrat ihr seine kleine dünne Hand auf die Schulter. »Wer wird nun das Vieh bei den beiden kranken Leuten versorgen, Rosemarie?«
Sie sah ihn zweifelnd an.
»Wer wird Essen kochen? Und die Betten machen? Wer wird sie pflegen?«
Ihr Blick wurde immer größer, immer angstvoller.
»Aus dem Dorf geht doch keiner zu ihnen, Rosemarie!?«
»Keiner«, flüsterte sie, aber es war nur wie ein Hauch.
»Höre zu, Rosemarie«, sagte der Amtsgerichtsrat und zog sie näher zu sich. »Das sind zwei oder drei Jahre her,da warst du bei mir. Ich sollte dich von den Gaus befreien und zu den Schliekers geben – weißt du noch?«
»Ich wußte nicht, wie sie waren«, flüsterte sie.
»Also du weißt es noch. Die Schliekers gaben eine gute Stellung um deinetwillen auf …«
»Für Geld«, flüsterte sie. »Nicht für mich.«
»Siehst du, wie du noch alles weißt! Du hast dich damals geirrt – und wie ist es nun: wer muß die Folgen deines Irrtums tragen: du oder die andern –?«
»Nein! Nein!« rief sie angstvoll, aber dieses Nein war keine Antwort auf die Frage des Richters, es galt etwas ganz anderm, und der Große Amtsgerichtsrat Schulz verstand das auch sehr richtig. »Da ist der alte Herr, von dem du erzählt hast, Rosemarie. Du hast verstanden, was er mit der Wahrheit gemeint hat. Ist das Wahrheit, wenn man wegläuft und sich versteckt –?«
Sie schwieg, aber ihre Augen irrten umher, als suchten sie einen Ausweg vor seinen Worten.
»Rosemarie!« sagte er streng und schüttelte sie. »Was ich dir gesagt habe, das habe ich dir um deiner Ehre willen gesagt. Du willst also nicht – nun höre noch einmal. Es geht nicht, daß wir Schliekers in Schimpf und Schande fortjagen. Das haben sie nicht verdient. Sie mögen sein, wie sie wollen – und ich kenne sie recht gut –, aber das haben sie nicht verdient. Es sind harte, lieblose Menschen, aber bis zur Stunde haben sie dir nicht mehr aufgeladen, als du tragen kannst. Leben ist kein Zuckerschlecken, und es gibt zehntausend Kinder auf der Welt, die es zehntausendmal schlimmer haben als du. Nimm dich zusammen, Mädchen, sieh es ein!« Sie schüttelte, immer noch leise verneinend, mit einem jämmerlichen Lächeln den Kopf.
»Wir haben«, fuhr er geduldig fort, »mit ihnen einen Vertrag gemacht und ihnen die hundert Mark im Monatzugesichert – und du warst dabei, Rosemarie! Und es ist jetzt unsinnig zu schimpfen, wenn sie ihr Geld verlangen.«
»Sie stehlen«, sagte Rosemarie trotzig.
»Unsinn!« sagte der Amtsgerichtsrat böse. »Komm einem Richter nicht mit solch unbewiesenem Geschwätz! Was stehlen sie? Wohin bringen sie’s? Sag!«
»Ich weiß keine Namen«, flüsterte sie.
»Siehst du, Rosemarie! Verleumdung – schäm dich was, Märchenprinzessin! Sich im Einschlafen Sachen ausdenken und dann daran glauben, was?!« Er lachte. »Nein, du, Rosemarie, du kennst Schliekers und weißt, wie sie sind! Was wird aus ihnen, wenn wir sie schimpflich aus dem Dorf jagen?! Wenn ich’s tue – aber ich darf ’s gar nicht –, wenn ich’s also tue: was wird aus ihnen?«
Schweigen.
»Du sagst es nicht, aber du weißt es. Dreck wird aus ihnen, und
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