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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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eine nagelneue Zahnbürste! Alles andere ist drüben. Ein frisch gesäuberter Mensch vermag viel zu ertragen, und einiges steht Ihnen ja wohl heute noch bevor. Wie gesagt, Amtsgerichtsrat Schulz ist in zwanzig, jetzt noch achtzehn Minuten hier, ganz freundschaftlich und privat, aber … Sie verstehen!«
    Er drückte Rosemarie die Bürste in die Hand und sie mit der zugehenden Tür aus dem Zimmer. Da stand sie und sah mit Tränen in den Augen auf die nagelneue Zahnbürste, und was eben noch völlig trost- und aussichtslos gewesen war, das strahlte nun mit einem wahren Freudenglanz. Der Philipp bei der Frau Stillfritz – und ihr hatte er eine Zahnbürste mitgebracht! Sie sah selig auf das weiße Borstengeschöpf.
    Nebenan redeten die Stimmen, schwollen an, sanken, flötensüß die Direktorin, kräftig schimpfend der Arzt. »Quatsch!« rief er grade. »Sie haben eine zuchtlose Phantasie!«
    Frau Bimm tat einen hohen Aufschrei, sagte schnell etwas und: »Giftzähne ziehe ich auch!« rief der Arzt. »Aber garantiert nicht schmerzlos!«
    Rosemarie riß sich zusammen, ein Lachen schütterte sie. Dann stürzte sie an den Waschtisch. Ach, wie schön schien die Sonne und wie herrlich hart war die Zahnbürste!
    »Na also!« sagte Doktor Kimmknirsch. »Nun sehen Sie ja schon wieder etwas menschlich aus.«
    Sie streckte ihm mit etwas ängstlichem Lächeln die Hand hin: »Guten Morgen, Herr Doktor, und schönen Dank für die Zahnbürste!«
    »Ach so! Richtig, natürlich, aber das mußte sein. Zahnpflege ist unerläßlich. Sie bürsten doch regelmäßig zweimal täglich? Machen Sie mal den Mund auf!«
    Sie tat es, als sei es ein großes Glück.
    »Na also«, sagte er zufrieden. »Sie können wieder zumachen. In Ordnung. Und, wie gesagt, der Münzer ist einigermaßen munter, wie man es eben nach einer kleinen Narkose sein kann. Der Fuß kommt bestimmt in Ordnung. Übrigens nicht Ihr Verdienst, nein, gar nicht …«
    »Nein«, sagte sie, ihn so ansehend, daß er beinahe verlegen geworden wäre. »Ich weiß schon, wessen Verdienst es ist …«
    »Mich meinen Sie? Quatsch. Geheimrat Faulmann war diese Nacht hier. Alles verschlafen, was –? Herein!«
    Ein trat, den schwarzen Vollbart streichelnd, Amtsgerichtsrat Schulz. »Nochmals guten Morgen, Kimmknirsch. Guten Morgen, Rosemarie! – Biest! Dein Verdienst ist es nicht, daß ich dich hier treffe statt in Zelle Numero Sicher …«
    »Nein«, sagte Rosemarie. »Ich weiß schon, wessen Verdienst …«
    »Halt!« rief Kimmknirsch. »Hören Sie auf damit, Fräulein Thürke. – Sie bildet sich nämlich ein, ich habe alles gemacht, einschließlich heutigem Sonnenschein, Schulz. Herrn Amtsgerichtsrat hast du zu danken, verstehst du … Schon wieder neue Verwirrung: Ich meine natürlich: Sie. Ihm haben Sie zu danken, verstehen Sie: ihm!«
    »Was!« rief der Amtsgerichtsrat. »Doktor! Kimmknirsch! Mensch! Sie werden doch dies Kind nicht siezen! Nach all dem Unsinn, den sie angestellt hat! Wollten wir sie als erwachsenen Menschen behandeln, müßte sie bestimmt ins Kittchen. – Aber wo bleibt der Kaffee, Doktor? Ich habe um zehn Termin, und was für einen!«
    »Ich will gleich mal sehen«, murmelte der Doktor.»Frau Bimm ist vielleicht noch etwas außer Fassung. Zuviel Ereignisse, verstehen Sie, für Kriwitz …«
    Er war aus dem Zimmer – und gleich war es, als wehe eine kühlere Luft.
    Der Amtsgerichtsrat saß, mit den Füßen, die den Boden nicht erreichten, baumelnd, in einem Sessel. Rosemarie stand unter der Tür, ihr Lächeln war fort.
    »Rosemarie!« sagte der Amtsgerichtsrat streng. »Rose marie , komm einmal her.«
    Sie näherte sich zögernd.
    »Sieh mich einmal an, Rosemarie.«
    Sie tat es.
    »Nein, bücke dich. Daß ich klein bin, ändert gar nichts, von oben lasse ich mich doch nicht ansehen.«
    Rosemarie bückte sich.
    »Rosemarie – hast du etwas Schlechtes getan –?«
    Sie sah den kleinen, närrischen, jetzt so ernsten Richter an. »Etwas Schlechtes –?« fragte sie. Und besann sich. »Ich habe den Philipp weggeschickt nach Berlin und den Otsche Gau befreit. Und dann habe ich meine Wäsche heimlich aus dem Schrank geholt. Und ich habe den Jungens gesagt, sie sollen mir Eßsachen …«
    »Unsinn, Rosemarie!« rief er ungeduldig. »Ich frage dich nicht nach Dummheiten, ich frage dich nach Schlechtigkeiten!«
    »Schlechtigkeiten –? Anderes weiß ich nicht!«
    »Besinne dich, Rosemarie! Denke zum Beispiel an den alten Herrn aus Berlin …«
    »An den Professor –?« fragte

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