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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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zu. »Ich bin manchmal etwas zerstreut …«
    »Zerstreut?« höhnte die Wirtin.
    Wie kampfführende Mächte mit dem Gegner nicht direkt verhandeln, sprach sie vom Professor immer nur mit »Er«.
    Ob er wohl auch mal so zerstreut ist, daß er Frühstück bezahlt, aber nicht ißt?
    Die Leute im Kreis – nun schon eine ganze Menge – murmelten beifällig und drohend.
    »Also wieviel macht es?« fragte der Professor sanft wie ein Lamm.
    »Wie groß er tut!« rief die junge Frau, die solche Szenen zu lieben schien. »Fünfundsiebzig Pfennig. – Aber weil er mir solchen Schreck eingejagt hat, müßte er eigentlich eine Mark zahlen, was?!«
    Das Volk war gegen den Professor und für die Mark.
    »Wenn Sie aber Geld wollen, liebe Frau«, sagte der Professor, immer mit der gleichen Geduld, »müssen Sie meinen Ärmel loslassen.«
    »Liebe Frau – er soll noch sehen, wie lieb ich zu ihm bin!« Und die Wirtin schleuderte seine Hand von sich, als habe sie eine Kröte zu fassen gehabt. Sie war zweifelsohne ein Fall echter Hysterie und großstädtischen Erregungen nicht abgeneigt.
    Bis hier hatte der Professor in himmlischer Ruhe und Gelassenheit an ein kleines, rasch aufzuklärendes Mißverständnis geglaubt. Aber nun griff seine Hand in die eine Tasche und kam leer zurück, in die nächste – leer in die dritte – leer, die fünfte, sechste – leer; ja, hier stand der Professor auf dem Dorfplatz in Lüttenhagen vor einer sich ständig vergrößernden, feindselig schweigenden Menge und suchte stets aufgeregter sämtliche sechzehn dem mit Anzug und Mantel bekleideten Mann verordneten Taschen ab und fand nichts!
    »Aber das ist doch nicht möglich –!« sagte er und sah verwirrt in die Runde.
    Alle Gesichter blickten lautlos böse auf ihn, und die Wirtin schnaufte wie eine zu stark geheizte Lokomotive. Noch aufgeregter fing der Professor mit der Suche von vorn an.
    »Männchen!« sagte der schnauzbärtige Mann mit dem Reiserbesen drohend. »Wir hier in Lüttenhagen lassen uns nicht wippen!«
    Doch da überkam den Professor die Erleuchtung! Glücklich ließ er die Hände sinken, glücklich gab er dieSuche auf, und glücklich sah er der Wirtin ins schnaufende Gesicht.
    »Aber natürlich habe ich kein Geld bei mir! Das habe ich ja meinem Patchen in Unsadel gegeben! Ich kann also gar kein Geld bei mir haben!«
    »Wa’!« schrie die Wirtin, und ein Ruck ging durch alle Gesichter ringsum. »Er hat’s seinem Patchen in Unsadel gegeben«, schrie sie noch viel lauter, »und keine zehn Minuten sind’s, da fragt er mich, wo eigentlich Unsadel ist. Ein Betrüger ist er, ein Hochstapler, ein Gauner …«
    »Liebe Leute!« bat der Professor.
    Aber er kam gegen den Sturm nicht an. Sie hatten ihm seine Chance gegeben, nun wollten sie die ihre. »Ins Spritzenhaus!« kreischte die Wirtin. Und: »Ins Spritzenhaus!« schrien die Leute. Der Mann mit dem Reiserbesen gab ihm den ersten Stoß. »Wir hier in Lüttenhagen …«
    Schon schoben, stießen, griffen, zerrten viele …
    Dem Professor wurde es bunt, dann schwarz vor den Augen …
    »Ins Spritzenhaus!« gellte es unerträglich.
    »Betrüger!« kreischte die böse Stimme.
    »Was ist hier denn los?« fragte eine tiefe Baßstimme hoch von oben.
    Totenstille wurde es, die Hände ließen vom Professor. Er öffnete die Augen.
    Auf einem braunen, großen Pferd hielt eine Reiterin vor der Gruppe. Eine Dame, in schwarzem Reitkleid, mit einem roten, vollen, strengen Gesicht, buschigen eisgrauen Augenbrauen und einer dicken schwarzen Zigarre in dem energischen Mund.
    »Die gnädige Frau«, flüsterten die Leute.
    »Frau von Wanzka«, tuschelten sie.
    Die Wirtin knickste. »Gnädige Frau«, sagte sie, und jetzt klang ihre Stimme kein bißchen scharf, sondern honigsüß.»Der ist ein Zechpreller. Er hat bei mir gefrühstückt und ist, ohne zu zahlen, weggegangen. Und wie wir ihm nach sind, hat er kein Geld, sondern erzählt, er hat’s seinem Patkinde in Unsadel gegeben. Und …«
    »Ssssst, Buschhofen!« zischte die Dame auf dem Pferd durchdringend. »Und Sie –?«
    Alle Augen richteten sich auf den Professor. Der stand noch ganz verwirrt da.
    »Es ist, wie die Frau sagt«, berichtete er dann. »Aber natürlich hole ich sofort das Geld. Ich bin nämlich der Professor Gotthold Kittguß aus Berlin und …«
    »Ssssst!« zischte die Dame und stieß eine dicke Rauchwolke aus. Sie nahm die Zigarre aus dem Munde und sah den Professor durchbohrend an. Sie beugte sich vor: »Und wo haben Sie das Kind

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