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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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du und ich, wir haben sie reingestoßen. Willst du es verantworten?! Habe Mumm, Mädchen, reiß dich zusammen! Das ist wahrhaftig einfach, auszureißen und in Feldern und Wäldern herumzuvagabundieren und arme Idioten zu Krüppeln zu machen …«
    Sie fuhr zusammen. Er merkte es. »Aber es ist doch so! Rosemarie. Nein, tu jetzt einmal deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, geh zu Schliekers zurück und halte aus, bis es ruhig geworden ist über all diesen Dingen. Dann wollen wir sehen, wie wir uns anständig und in allen Ehren von ihnen lösen, verstanden? Einverstanden, Rosemarie?!«
    Aber sie konnte nicht. Sie hörte die böse, grelle Stimme der Frau, die hinterlistig-freundliche des Päule … »Ich kann nicht …«, flüsterte sie. »Ach, wenn mir doch einer glaubte, daß sie noch viel, viel schlechter sind …«
    Der Amtsgerichtsrat ließ sie so plötzlich los, daß sie beinahe gefallen wäre. Er war blaß vor Zorn. »Da habenSie sie, Doktor!« rief er unmutig. »Sie will nicht! Sie hat einfach Angst, jämmerliche, feige, knochenklappernde Angst! Pfui Teufel!«
    Sie war zusammengeschreckt, als sie erfahren hatte, daß der Doktor im Zimmer gewesen war, wer weiß, wie lange schon. Röte stieg in ihr eben noch blasses Gesicht. Sie senkte es.
    »Ich denke, erst frühstücken wir einmal«, sagte der Arzt ungerührt. »Das wird allen Beteiligten nur guttun. Und danach werde ich mit Fräulein Thürke einen Krankenbesuch bei Schliekers machen. Was sich dabei ergibt, werden wir ja sehen. Wenn Sie nicht bleiben wollen, das verspreche ich Ihnen, Fräulein Thürke, rede ich Ihnen mit keinem Wort zu … Und nun seien Sie so gut und schenken uns den Kaffee ein. Ich für mein Teil freu mich auf ihn …«
    Der Amtsgerichtsrat freute sich auch, er war nicht mehr und noch nicht wieder in dem Alter, wo einem Ärger den Appetit verdirbt.
    Freilich Rosemarie saß nur kümmerlich über ihrem Frühstück, und es wollte ihr nicht annähernd so schmecken, wie es sich für solch ungewohntes Frühstück mit sauren Fischchen und kaltem Fleisch geschickt hätte. Sie hörte auch nur halb auf das Gespräch der beiden Herren, trotzdem sie von einem wunderlichen Narren auf den andern gerieten, nämlich von Stillfritz auf Philipp und von Philipp auf den alten Professor.
    Der Amtsgerichtsrat Schulz hatte vielerlei von ihm gehört, durch den Gendarmen Gneis und durch Päule Schlieker, durch Stillfritzens und den Gemeindevorsteher Gottschalk und auch durch Rosemarie – aber ein Bild von dem Wesen des alten Mannes konnte er sich darum doch nicht machen – das hörte Rosemarie gleich.
    So mußte sie schließlich einspringen und einmal alles recht ordentlich vom ersten Anfang an erzählen, von demdurch Philipp unter Mißachtung der Mecklenburgischen Gemeindeordnung nach Berlin getragenen Notschrei, über den im Kohlenstall endenden Besuch, bis zur Einkehr im Vogelschen Waldhaus.
    »Und da sitzt er also noch, Rosemarie?«
    »Ja«, sagte sie schuldbewußt. »Über all dem, was heute nacht geschehen ist, habe ich ihn ganz vergessen. Und sicher friert er und hat keinen warmen Kaffee wie wir und ängstet sich um mich und Philipp …«
    »Du siehst, Rosemarie«, sagte der Amtsgerichtsrat noch einmal streng, »was bei deinen Abenteuern herauskommt! Klarer Weg, Mädchen!«
    Sie senkte den Kopf noch tiefer, sie fühlte den hellen, ernsten Blick des jungen Arztes und schämte sich. Aber in ihr sagte es noch immer: »Ich kann nicht. Und ich will nicht.«
    »Ich mache Ihnen das«, sagte jetzt Doktor Kimmknirsch. »Bierverleger Tengelmann hat ein Auto. Das leihe ich mir, und damit fahre ich zuerst Fräulein Thürke zu Schliekers, und dann hole ich Ihnen den alten Herrn. Recht so?«
    Rosemarie hätte nicht sechzehn Jahre alt und ein rechtes Landmädchen aus dem Jahre 1912 sein müssen, um nicht plötzlich vor Glück zu strahlen, daß sie in einem richtigen Automobil fahren sollte, und mit dem jungen Arzt dazu.
    Der Amtsgerichtsrat wiegte den Kopf hin und her: »Sehr liebenswürdig, Herr Doktor. Aber kann ich es Ihnen auch zumuten? Eigentlich geht Sie doch der ganze Kram nichts an.«
    »Doch! Doch!« sagte der Doktor tiefernst und lächelte nur mit den Augenwinkeln. »Es sind doch eigentlich alles meine Patienten!«
    Und dabei sah er Rosemarie so von der Seite an, daß sie rasch unter dem Tisch nach ihrer Serviette suchen mußte.

17. KAPITEL
    Worin ein entlaufenes Kind heimkehrt, aber es bleibt nicht
    Dieser Herbsttag, der für den Professor wie für sein

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