Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
ich sehe so gut wie gar nichts.« Keshna schwamm mit dem Floß wieder zum Ufer zurück. »Woher wissen wir, wann wir in Mahclah sind? Unter diesem Ding hier treiben wir womöglich schnurstracks daran vorbei.«
»Wir werden den Rauch der Lagerfeuer riechen.«
»Nicht, wenn der Wind aus der falschen Richtung weht.« »Willst du lieber zu Fuß gehen?«
»Nein, nicht durch all den Schlamm.« Keshna zuckte die Achseln. »Laß es uns riskieren.« Sie banden sich ihre Stiefel um den Hals, schoben das Floß in den Fluß zurück und tauchten darunter. Als Luma wieder an die Oberfläche kam, hatte sie ein struppiges Gewirr grüner Schilfhalme über sich, durch das hier und da ein Fleckchen blauer Himmel schimmerte. Sie machte ein paar Schwimmbewegungen und fühlte, wie ihr rechter Fuß hart gegen Keshnas Brust stieß. Mit einer gemurmelten Entschuldigung schwamm sie unter dem Floß hervor. Keshna trat Wasser und sah verärgert, aber nicht wütend aus.
»So geht das einfach nicht. Es funktioniert nicht, wenn wir nicht im gleichen Rhythmus schwimmen«, sagte sie. Sie tauchten abermals unter das Floß. »Eins, zwei, drei«, flüsterte Keshna. »Eins, zwei drei.« Das Floß glitt mühelos in die Strömung und begann flußabwärts zu treiben. Scharen von Enten schwammen so dicht an ihnen vorbei, daß Luma die Hand hätte ausstrecken und sie an den Füßen packen können, um sie unter Wasser zu ziehen, wie es Vogeljäger manchmal taten. Bald konnten sie Rauch riechen.
»Laß uns das Ding ans Ufer bugsieren«, flüsterte Keshna. Sie begann abermals zu zählen, und sie schwammen mit dem Floß Richtung Ufer, hielten in schrägem Winkel darauf zu, um den Anschein zu erwecken, das Schilfgestrüpp sei von einer Rückströmung erfaßt worden. Das Wasser wurde allmählich wärmer, und schließlich trafen Lumas Füße auf Grund. Die Furt! dachte sie, aber sie traute sich nicht zu sprechen. Wenn sie wirklich bei der Furt waren, dann waren sie gefährlich nah an Mahclah. Keshna mußte den steinigen Untergrund ebenfalls gespürt haben, denn sie hörte auf zu zählen. Schweigend schoben sie das Gewirr aus Schilfgras auf das Ufer zu. Luma kroch als erste hinauf und zog das Floß an einer Ecke hinter sich her, so daß es einen schützenden Schirm bildete. Sie bewegte sich langsam und hoffte verzweifelt, daß die Wachtposten sie nicht entdeckten. Keshna kam als nächste, glitt lautlos durch den Morast. Als beide am Ufer waren, legten sie sich flach auf den Bauch hinter das Floß, das sie wie eine Wand aus Gräsern verbarg.
Es war gut, daß sie so vorsichtig gewesen waren. Denn als sie die Köpfe hoben, um durch die Schilfhalme hindurchzuspähen, erkannten sie, daß sie praktisch direkt vor Mahclah waren. Ein kleines Stück flußabwärts war ein großes Netz quer über das Wasser gespannt worden, zweifellos, um Händlerboote abzufangen.
Falls auf ihrer Seite des Flusses Wachen postiert waren, so konnte Luma sie jedenfalls nicht sehen. Am gegenüberliegenden Ufer breitete sich das Nomadenlager aus. Dunkel gekleidete Frauen kauerten vor den Feuerstellen und kochten verschiedene Dinge, während ganz in der Nähe eine Schar nackter Kinder im seichten Wasser am Ufer planschten; doch selbst von dieser Seite des Flusses aus war deutlich erkennbar, daß es sich um ein Feldlager von Kriegern handelte. Schwerbewaffnete Wachen standen am Ufer und blickten aufmerksam flußaufwärts, flußabwärts und über das Delta hinweg. Schlachtrösser der edelsten Rasse waren an Pfählen angebunden, bereit, jeden Moment bestiegen zu werden; an mehreren Stellen waren Speere aufgestapelt, und am Ufer lagen Enterhaken bereit, mit denen man Händlerboote an Land ziehen konnte, um Tribut von ihnen zu erpressen. Drei oder vier Männer lümmelten am Ufer herum und tranken aus einem Schlauch – wahrscheinlich Kersek –, während andere unter Bäumen oder Sonnendächern aus Schilfgras schliefen oder durch das Lager schlenderten, begleitet von Hunden, die hinter ihnen her-trotteten. Fast alle Männer waren jung und hatten die kahlgeschorenen Köpfe von Kriegern, und ihre Hunde waren von jener aggressiven nomadischen Rasse, die speziell gezüchtet wurde, um Alarm zu schlagen und fremde Eindringlinge in Fetzen zu reißen, wenn ihre Herren sie nicht zurückhielten. Luma sprach ein stummes Dankgebet, daß der Wind seit dem Zeitpunkt, als sie und Keshna den Rauch gerochen hatten und ans Ufer gekrochen waren, gedreht hatte und ihren Geruch jetzt vom Lager weg trug.
Sie sah
Weitere Kostenlose Bücher