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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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und wenn ein Krieger versehentlich einen der hübschen Tonkrüge zerschlug, fegte er einfach die Scherben beiseite und griff nach einem anderen. Es würden wieder neue Boote den Fluß hinunterkommen. Ein Mann konnte sich jederzeit betrinken, solange es Händler gab.
    Während die Männer Festgelage hielten, hakten die Frauen sich unter und begannen mit dem Hochzeitstanz. Sie stampften mit ihren abgenutzten Lederstiefeln auf dem schlammigen Boden. Während sie tanzten, dachten die alten Frauen wehmütig, wie schön es wäre, einen jungen Ehemann wie Keru zu haben, der ihre Knochen wärmte; und die jungen Frauen dachten sehnsüchtig, daß wenn Keshna nicht gekommen wäre, dies vielleicht ihre eigene Hochzeit hätte sein können. Aber nichts von alledem war auf ihren Gesichtern zu erkennen, die zur Hälfte von dicken schwarzen Schals verhüllt waren. Als sie den Text von »Hoch Lebe Die Glückliche Braut« und »Häuptling Keru Nimmt Sich Eine Ehefrau« sangen, erhoben sich ihre Stimmen hinter der schweren Wolle wie Vogelstimmen aus einem tiefen Dickicht: hoch und schrill, fast wehklagend; und wenn sie sich fragten, wo Keshna so lange blieb, wo Luma war, oder warum Rimnak nicht mit ihnen tanzte, so ließen sie sich das nicht anmerken.
    Bei einem Hochzeitsfest stellten Frauen keine Fragen. Ihre Zeit würde morgen kommen. Sobald die Sonne aufging, würden sie in das Hochzeitszelt stürmen, die Decke herausziehen, auf der das
    frischgebackene Ehepaar gelegen hatte, und sie als Beweis für Keshnas Jungfräulichkeit im Triumphzug durch das Lager tragen. Selbst wenn Keshna keine Jungfrau mehr war (wovon sämtliche Frauen überzeugt waren), würde trotzdem Blut auf ihrer Decke sein – dafür würde Keru sorgen. Anschließend würden weitere Tänze zu Ehren der Braut aufgeführt, und dann würden die Frauen an der Reihe sein, Festgelage zu halten, zu singen und sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. Bis gegen Abend würden nur die Frauen, die zu alt oder zu krank waren, um den Kersek bei sich zu behalten, noch nüchtern genug sein, um das Abendessen zuzubereiten. Bei dem Gedanken an eine solche Freiheit stießen die Frauen laute Freudenschreie aus und wiegten sich so begeistert hin und her, daß sie wie eine Reihe schwarzer Schilfhalme aussahen, die in einem kräftigen Wind schwankten.
     
    Unten am Fluß hörten die Vögel die Schreie der Frauen und flogen alarmiert auf. Es gab ein solches Rauschen und Flattern von Schwingen, ein solches Krächzen, Keckem, Pfeifen, Kreischen und Zwitschern, daß die Trommeln für einen Moment von dem Lärm übertönt wurden.
    Keru blickte hoch, und der Schatten einer flüchtenden Wildente glitt über sein Gesicht. Er setzte seinen Weinkrug ab und runzelte die Stirn. Es gefiel ihm nicht, so große Scharen von Vögeln so jäh aus dem Röhricht auffliegen zu sehen. Es war ein schlechtes Omen. Vielleicht waren die Vögel nur von dem lauten Gesang und dem Dröhnen der Trommeln in die Flucht geschlagen worden, doch als er beobachtete, wie die Schwärme über den Himmel zogen, hatte er das Gefühl, daß sie ihm etwas Wichtiges sagten, das er aber nicht verstand.
    Er griff nach einem Stück Käse und aß es langsam. Er hielt immer wieder inne, um den Blick über seine Krieger schweifen zu lassen. Die meisten waren schon vor geraumer Zeit gekommen. Sie saßen in Familiengruppen zusammen, umringt von ihren Vätern und Brüdern, und aßen und tranken von allem, was in Sichtweite war. Aber Keru fiel auf, daß einige seiner Männer fehlten.
    Changars Abwesenheit konnte er verstehen. Der alte Mann wollte nicht miterleben, wie er Keshna zur Ehefrau nahm. Er hockte wahrscheinlich beleidigt in seinem Zelt und tat so, als sei er zu krank, um der Hochzeitsfeier beizuwohnen. Aber Tlanhan hätte eigentlich als einer der ersten erscheinen müssen. Er hätte in diesem Moment neben Keru sitzen und obszöne Scherze über Bräutigame machen sollen, die so viel tranken, daß sich ihr Speer in ein schlappes Seil verwandelte (obwohl diese Gefahr ganz bestimmt nicht besteht, dachte Keru). Und Gloshan und Wehan hätten dort drüben bei ihrem Großvater sitzen, ihm den Fleischsaft vom Kinn wischen und ihn und sich selbst mit geröstetem Kaninchen vollstopfen sollen. Die Abwesenheit von Wehan, Gloshan und Tlanhan ließ die feinen Härchen in Kerus Nacken prickeln, so wie sie es auch vor einem Überfall aus dem Hinterhalt taten. Die faulen Bastarde lagen wahrscheinlich in ihren Zelten – völlig betrunken von dem

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