Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
zu können, statt dessen benutzte Keru ihn als Boten! Wie viele tote Bräute waren denn noch nötig, um Keru so rasend zu machen, daß er kämpfte? Tlanhan zog sein Pferd herum und ritt zu Changar zurück.
Während Changar und Tlanhan beratschlagten, erhaschte Keru eine schnelle Bewegung aus dem linken Augenwinkel. Er blickte nach links, ohne den Kopf zu drehen, und sah Hrandshan von Wehans Zelt zurückkommen. Hrandshan mußte gesehen haben, wie Tlanhan Keshnas leblosen Körper zu Kerus Füßen niederwarf, denn er ging nicht zu der Festtafel zurück, sondern schlich sich vorsichtig an, indem er Zelte und angepflockte Pferde als Deckung benutzte. Als Hrandshan das nächststehende Zelt erreichte, kniete er sich dahinter und spannte einen Pfeil in seinen Bogen. Dann hob er seine freie Hand und machte Keru Zeichen.
Können die Verräter mich sehen?
Nein,
signalisierte Keru zurück. Er hielt einen Moment inne.
Changar hält Luma seinen Dolch an die Kehle.
Ja. Ich weiß. Wenn du ihn ablenkst, kann ich ihn erschießen, bevor er Luma etwas antun kann.
Schieß nicht daneben.
Ich schieße nie daneben.
Bei jedem anderen Mann wäre diese Bemerkung Prahlerei, aber Keru wußte, daß Hrandshan nur die simple Wahrheit sagte: Das einzige Mal, daß Hrandshan sein Ziel verfehlt hatte, war, als ihn ein Pferd in genau dem Moment, in dem er seinen Pfeil hatte abschießen wollen, in den Rücken getreten hatte.
Keru hörte auf Zeichen zu machen und überlegte, wie er Changar am besten ablenken konnte, damit Hrandshan ihn genau in der Schußlinie hatte. Tatsächlich brauchte er gar keinen Plan. Tlanhan hatte ihn bereits zu einem Kampf herausgefordert, der die bestmögliche Ablenkung sein würde. Jetzt mußte er sich nur noch etwas einfallen lassen, um sicherzustellen, daß seine eigenen Männer nicht anfingen zu schießen. Unter normalen Umständen hätte er sich einfach zu ihnen umgedreht und ihnen gesagt, daß Hrandshan im Hinterhalt lag; aber drei seiner Krieger hatten ihn an diesem Morgen bereits verraten, und wo es drei Verräter gab, konnte es leicht noch mehr geben.
Changar und Tlanhan beratschlagten eine ganze Weile. Schließlich nickte Changar, wendete und ritt langsam auf Keru zu. Er hielt Luma mit einer Hand fest, drückte ihr mit der anderen den Dolch an die Kehle und lenkte sein Pferd durch Zungenschnalzen und leise Zischlaute. Tlanhan ritt ein kleines Stück hinter ihm, und Wehan und Gloshan bildeten die Nachhut. Als sie ungefähr zwanzig Schritte von Keru entfernt waren, zügelte Changar sein Pferd, indem er ein gedämpftes Wiehern nachahmte, ein Geräusch, das den Hengst wie angewurzelt stehenbleiben und erzittern ließ. Changar zog die Schneide seines Messers über Lumas Kehle, ohne ihre Haut zu ritzen, und blickte Keru mit der arroganten Selbstsicherheit eines Mannes an, der glaubt, er sei seinem Gegner haushoch überlegen.
»Wie ich gehört habe, willst du um deine Schwester feilschen.«
Keru sah Luma an. Sie saß kerzengerade und stocksteif da, angstbleich und reglos. Ihr Gesicht war übel zerkratzt, und an ihrer Unterlippe haftete verkrustetes Blut, aber im übrigen war sie noch heil und in einem Stück, und Keru wollte, daß das auch so blieb.
»Nein«, erwiderte er. »Ich habe kein Interesse daran, um sie zu feilschen. Ich habe es mir anders überlegt.« Er sah, wie Luma bestürzt und bitter enttäuscht die Augen aufriß. Er hätte sie durch bloße Willensanstrengung gerne dazu gebracht, seine Gedanken zu lesen und zu verstehen, daß er nicht wirklich meinte, was er über sie sagen würde; aber das funktionierte natürlich nicht.
Changars Augenbrauen schossen in die Höhe. »Nicht?« Damit hatte Changar nicht gerechnet. Gut, dachte Keru. Je mehr er sich überrumpelt fühlt, desto besser.
Keru zuckte die Achseln. »Warum sollte ich Tlanhans Sau von einer Schwester heiraten, nur um meine eigene Schwester freizukaufen, die ich praktisch kaum kenne? Luma bedeutet mir nichts. Ich bin nicht mit ihr zusammen aufgewachsen, und du hast mir doch immer wieder gesagt, daß sie mich abgrundtief haßt. Sieh sie dir doch an.« Keru zeigte mit dem Finger auf Luma. »Ein Mannweib, aufsässig und unverschämt und mehr oder weniger kahlköpfig. Als sie hier auftauchte, dachte ich noch, ich könnte sie vielleicht gegen einen guten Brautpreis verheiraten, aber ich könnte von Glück reden, wenn ich auch nur drei Ziegen für sie bekäme. Seit sie hier ist, hat sie nichts anderes getan, als mir Ärger zu machen; deshalb ist
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