Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
verschwundenen Kersek oder von Haschisch berauscht, und dennoch wurde Keru das Gefühl nicht los, daß die drei irgendwo zusammensteckten und einen dieser schändlichen Streiche ausheckten, die unverheiratete Männer zu gerne einem Bräutigam spielten.
Keru schluckte das letzte Stückchen Käse herunter, trommelte nervös mit den Fingern auf den Weinkrug und ließ seinen Blick abermals prüfend über die einzelnen Gruppen von Kriegern schweifen. Wenn die drei fehlenden Krieger irgend etwas aushausheckten, den heutigen Tag verdarb, würde er dem Rest seiner Männer befehlen, sie zu packen und an den Füßen aufzuhängen, bis sie wieder zur Vernunft gekommen waren. Und ansonsten ... wenn die drei unbedingt sein Hochzeitsmahl verpassen wollten, dann bedeutete das nur, daß es für die anderen um so mehr zu essen gab.
Keru wischte mit einem Stück Brot etwas Fleischsaft auf, steckte es sich in den Mund und überlegte nochmals. Das Essen war köstlich, und Tlanhan war ein mürrischer Dickkopf, daß er nicht hier war, um mit ihm zu speisen. Außerdem waren die Vögel geflogen, und ein kluger Mann hörte auf die Vögel.
Er wandte sich an einen Krieger namens Hrandshan, der in der Nähe saß. Hrandshan war der beste Bogenschütze im Lager, und er hatte die komische Angewohnheit, nüchtern zu bleiben, wenn andere Männer sich betranken. Obwohl sein Bart mit Hammelfett beschmiert war, lagen keine zerbrochenen Weinkrüge auf dem Teppich vor ihm.
»Sieh mal nach, ob Wehan, Tlanhan und Gloshan in ihren Zelten sind«, wies Keru ihn an. »Wenn sie dort sind, dann sag ihnen, daß ich sie augenblicklich hier erwarte, um meine Braut zu ehren.«
Hrandshan nickte, erhob sich und marschierte ohne ein weiteres Wort davon. Keru fragte sich, ob er nicht noch jemanden losschicken sollte, um nachzusehen, wo Keshna und Luma so lange blieben; aber wenn er das tat, dann würde er sich lächerlich machen, und ein Häuptling konnte es sich nicht leisten, vor seinen Männern wie ein Idiot dazustehen. Sich als Bräutigam insgeheim vor Ungeduld zu verzehren, war eine Sache, etwas völlig anderes war es, dieser fieberhafte Ungeduld öffentlich zu zeigen.
Er trank noch einen Schluck Wein und erhob sich von seinem Platz, um zu seinem Zelt zu gehen und das Hochzeitsgeschenk zu holen, das er Keshna überreichen wollte, wenn sie kam. Wäre sie irgendeine andere Frau gewesen, hätte er ihr eine goldene Halskette geschenkt; doch da Keshna nun einmal Keshna war, hatte er beschlossen, ihr einen neuen sirrenden Bogen zu schenken, denn ihr alter zeigte mittlerweile Abnutzungserscheinungen. Der Bogen war der beste und schönste im ganzen Lager, so perfekt ausbalanciert, daß die Pfeile wie aus eigenem Antrieb von seiner Sehne wegzufliegen schienen. Keru war nichts eingefallen, was Keshna größere Freude machen würde.
Doch als er von seinem Platz aufstand, sah er etwas, das ihn jeden Gedanken an Keshnas Bogen vergessen ließ. Die Frauen hatten zwischen ihm und dem Pfad getanzt, der vom Fluß heraufführte. Solange er auf dem Boden gesessen hatte, hatten sie ihm die Sicht versperrt, aber jetzt fuhr Keru plötzlich zusammen und legte die Hand auf seinen Dolch. Er sah Wehan, Gloshan und Rimnak aus dem kleinen Weidendickicht am östlichen Rand des Lagers reiten. Was hatte Rimnak bei Wehan und Gloshan zu suchen? Und wieso waren die drei zu Pferd?
Die tiefhängenden Weidenzweige teilten sich abermals, und Changar und Luma erschienen, zu zweit auf einem Pferd. Für
einen flüchtigen Moment – bevor er begriff, was er da sah – war Keru froh, Changar zu sehen. Der alte Mann hatte sich wie Choatk bemalt, was für eine Hochzeitsfeier ziemlich unpassend war, aber zumindest kam er zu dem Fest, und er hatte sich offensichtlich sogar anerboten, Luma mitzunehmen. Aber warum hielt Luma die Arme hinter dem Rücken? Und was hielt Changar ihr an die Kehle? Keru blinzelte und versuchte angestrengt, das Ding in Changars Hand zu erkennen. Gleich darauf teilten sich die Weidenzweige ein drittes Mal, und Tlanhan ritt heraus – mit Keshna, die quer über den Hals seines Pferdes hing. Ganz plötzlich wurde Keru klar, daß er verraten worden war.
»Verräter!« brüllte er.
Bei seinem lauten Ausruf warfen die Trommler ihre Trommeln weg und griffen hastig nach ihren Waffen. Die Reihe der Tänzerinnen löste sich auf, und die Frauen rannten in alle Richtungen davon, rissen ihre Kinder an sich und flohen in Panik. Die sitzenden Krieger spuckten ihr Essen aus, packten ihre
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