Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
Bögen und sprangen auf die Füße. Noch bevor Keru sie aufhalten konnte, hatten die Männer Pfeile in ihre Bogensehnen eingespannt und machten sich zum Schießen bereit.
»Halt!« rief Keru. »Nicht schießen!« Es war ein Messer, was Changar an Lumas Kehle hielt. Er begriff augenblicklich, daß entweder Changar oder Tlanhan Keshna getötet hatte, und daß Wehan und Gloshan dabei geholfen hatten. Er wollte ihr Blut dafür, und er wollte es sofort; aber wenn er seine Männer nicht daran hinderte, die Mörder zu erschießen, würde auch Luma sterben. »Nicht schießen!« wiederholte er verzweifelt. »Die Feiglinge haben meine Schwester!«
Widerstrebend senkten die Krieger ihre Bögen, und ein dumpfes Murmeln mühsam unterdrückter Gewalt ging durch ihre Reihen. Es ähnelte dem tiefen, gefährlichen Knurren eines zornigen Tieres, aber Changar und Tlanhan waren zu weit entfernt, um es zu hören und zu begreifen, wie sehr sie die Loyalität von Kerus Männern unterschätzt hatten.
Als die Reiter so nahe herangekommen waren, daß Keru den Knebel in Lumas Mund sehen konnte, trieb Tlanhan seinen
Hengst zu einem tänzelnden Trab an und ritt an Changar vorbei. Bei jedem Schritt seines Pferdes prallte Keshnas Kopf gegen die Flanke des Tieres, und jedesmal wenn er dagegenprallte, wollte Keru seinen Kriegern befehlen, Tlanhan zu erschießen. Doch immer dann, wenn die Verlockung fast unwiderstehlich wurde, blickte er auf und sah Changars Dolch an Lumas Kehle, und dann biß er sich auf die Lippen und unterdrückte seinen Zorn. Ein Wort von ihm, und seine Männer würden über die Verräter herfallen. Es würde nichts von ihnen übrigbleiben – nicht ein bißchen. Keru wußte, daß er sich um Lumas willen nicht rühren oder auch nur sprechen durfte, solange er sich nicht sicher war, daß seine Stimme ruhig und beherrscht klingen würde. Er fühlte, wie die Welle des Zorns hinter ihm aufwogte, bereit, jeden Moment niederzustürzen und alles mit sich zu reißen, und er roch Gewalt in der Luft, so bitter wie fauliges Wasser.
Als Tlanhan wenige Schritte von ihm entfernt anhielt, war Kerus Gesicht völlig ausdruckslos. Unter dieser Ausdruckslosigkeit brodelte etwas, was so finster und glühend war, daß es Tlanhan das Fleisch von den Knochen abgebrannt hätte, wenn es ihn hätte berühren können; aber Tlanhan hatte noch nie hinter die Fassade anderer Männer schauen können. Er faßte Kerus Schweigen als Schwäche auf und tat etwas so Dummes und Arrogantes, daß selbst die Krieger, die bereit waren, ihn zu töten, schockiert waren. Er packte Keshna am Gürtel, ritt auf Keru zu und warf ihm ihren leblosen Körper vor die Füße.
»Hier hast du deine Braut«, rief er. Er legte eine Pause ein, um Keru Zeit zu lassen, die Tatsache zu registrieren, daß Keshna tot war. Er bemerkte nicht, daß Keru in dem Moment, in dem Keshnas Körper auf dem Boden aufgeprallt war, entschieden hatte, daß ein schneller Tod noch viel zu gut für Tlanhan war.
Keru schaute Keshna nicht an, weil er wußte, wenn er es täte, würde er sich zu etwas hinreißen lassen, das Lumas Tod bedeuten würde. Er starrte Tlanhan einfach weiter ausdruckslos an. Tlanhan hatte nicht mit dieser Reaktion gerechnet, und sie zermürbte ihn. Er leckte sich nervös über die Lippen und räusperte sich.
»Heirate meine Schwester Rimnak und lösch den Schandfleck von ihrem Namen, oder kämpfe gegen mich und stirb! « verkündete er. Es klang nur nicht wie eine Herausforderung. Die Worte kamen schwach und unsicher über seine Lippen, obwohl das sicher nicht in Tlanhans Absicht lag. Er blickte in Kerus Augen und entdeckte darin nicht die geringste Gefühlsregung, und das zermürbte ihn noch mehr. Er hatte noch nie zuvor so vollkommen ausdruckslose Augen gesehen.
»Sag Changar, er soll Luma freilassen«, sagte Keru mit so beiläufig klingender Stimme, als habe er Tlanhan um einen Schluck Wasser gebeten, »dann können wir uns über meine Eheschließung mit Rimnak unterhalten.«
»Ich kann Changar keine Befehle erteilen.« Tlanhan sah auf Keshna hinunter und fragte sich, warum Keru so gleichgültig auf den Anblick ihrer Leiche reagierte. »Changar tut, was er will.«
»Na schön«, erwiderte Keru mit derselben ausdruckslosen Stimme, »dann spreche ich wohl mit dem falschen Mann. Bitte Changar, näher heranzureiten, damit ich herausfinden kann, was es kosten wird, Lumas Freiheit zu erkaufen.«
Tlanhan war wütend. Er hatte fest damit gerechnet, Keru zu einem Kampf provozieren
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