Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
Vom Netzwerk:
verdichte sich all ihr mütterlicher Kummer an dieser einen Stelle. Sie waren so selbstsicher und von ihrer Mission überzeugt, so begierig und voller Ungeduld, so voll jugendlicher Ignoranz. Sie wußte, wenn sie ihre Tochter jetzt nicht segnete, würde sie sie vielleicht für immer verlieren. Aber wenn sie Luma tatsächlich ihren Segen erteilte, schickte sie ihr Kind dann nicht sehenden Auges in den Tod? Plötzlich bemerkte sie, daß Lumas Augen feucht waren. Der grimmige Ausdruck – den Luma einstudiert haben mußte – löste sich in Tränen der Enttäuschung und Demütigung auf.
    Marrah rannte zu Luma, ergriff ihre Hand und zog sie halb zu sich herunter, um sie zu küssen. »Ich segne dich!« rief sie laut. »Ich segne dich, nur dann zu kämpfen, wenn du einen Kampf nicht vermeiden kannst, und nur dann zu töten, wenn du unbedingt töten mußt. Ich segne dich und wünsche mir, daß du dir ein mitfühlendes Herz bewahrst. Ich segne dich, deine Feinde zu lieben, wann immer du kannst. Ich segne dich, unser Volk und unsere Lebensweise zu verteidigen, denn das Volk zu verteidigen, das man liebt, ist eine edle Sache, Luma – eine edle Sache. Aber ich wünsche mir auch, daß du des Krieges überdrüssig wirst, daß dir der Geruch von Blut unerträglich wird, daß du niemals vergißt, daß die Göttin Erde eine Friedensgöttin ist. Ich wünsche mir, daß du eines Tages sicher nach Hause zurückkehrst – wohlauf und heil –, deshalb segne ich dich mit Vernunft und gesundem Menschenverstand. Dies ist mein Gebet: daß du niemals die Gewalt lieben wirst, ganz gleich, was für eine große Kriegerin aus dir werden mag. Und deshalb segne ich dich mit dem Kuß einer Mutter.«
    Als Luma diese bewegenden Worte hörte, begann sie zu schluchzen. Einen Moment lang klammerten sie und Marrah sich aneinander, doch ihre Tränen versiegten bald.
    Stavan war derjenige, der das letzte Wort hatte. Er ging zu Luma und Keshna, trat zwischen sie und legte den Stuten je eine Hand auf den Hals. »Dieses ganze Segnen und Tränenvergießen ist äußerst rührend«, sagte er, »aber die Wahrheit ist, daß ihr beide nicht die geringste Ahnung von Krieg habt.« Plötzlich packte er beide Mädchen an den Knöcheln und riß sie beinahe von ihren Pferden herunter. »Seht ihr«, sagte er lachend. »Der erste Nomadenkrieger, der euch über den Weg liefe, würde euch mühelos vom Pferd holen. Sobald ihr auf dem Boden landet, würde er euch so schnell den Kopf abhacken, daß ihr Futter für die Krähen wärt, noch bevor ihr wüßtet, wie euch geschieht.«
    »Das war ein gemeiner Trick«, fauchte Keshna. »Du meinst, du kannst dich über uns lustig machen, weil du früher einmal gegen Vlahan und seine Krieger gekämpft hast, aber jetzt bist du alt und lahm und ...« Die Zuschauer schnappten nach Luft, als sie ihn »lahm« nannte, doch Stavan lachte nur noch lauter.
    »Ich mag vielleicht alt und lahm sein«, erwiderte er, »aber ich weiß trotzdem sehr viel mehr über das Kriegerleben als jeder Mann und jede Frau südlich des Rauchflusses. Um also zu verhindern, daß ein blutrünstiger nomadischer Pöbelhaufen über meine beiden Lieblingsmädchen herfällt und ihnen die Köpfe abhackt, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als ihnen beizubringen, wie man kämpft.«
    »Es wird höchste Zeit, daß du dir einen warmen Platz am Feuer suchst und Leute unseres Alters die Schlachten kämpfen läßt, die du niemals gewinnen konntest. Es wird höchste Zeit, daß ...«
    »Sei doch endlich still!« schrie Luma. »Verstehst du denn nicht? Aita Stavan will uns als Kriegerinnen ausbilden! «
    »Nein«, erklärte Stavan. »Ich will euch beibringen, wie lahme alte Männer zu kämpfen. Wenn ihr mir aufmerksam zuhört, lebt ihr vielleicht lange genug, um euren sechzehnten Geburtstag zu erleben. Im Moment würde ich nicht einmal drei Spielpfänder darauf verwetten, daß ihr einen Zusammenstoß mit einem echten Überfallkommando überlebt. Ich glaube, ihr werdet euch noch wundern, wieviel Geschicklichkeit und Klugheit es erfordert, um mein fortgeschrittenes Alter zu erreichen.«
     

4. KAPITEL
    An einem brütendheißen Sommertag, als die Sonne hoch am Himmel stand und der Süßwassersee so flach und öde war wie das Herz eines Nomadenkriegers, zog Luma aus, um Keshna aufzuspüren und sie zu töten. Natürlich würde Luma Keshna nicht wirklich töten, sondern nur mit blauem Farbstoff markieren, wenn sie sie überrumpelt hatte, denn dies war ein Spiel, das Stavan erfunden

Weitere Kostenlose Bücher