Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
besitzt, könnt ihr euch an euren Feind anschleichen wie eine Löwin an ihr Wild. Zu Pferd bietet ihr eine ideale Zielscheibe: heicht zu verfolgen, leicht zu sehen und leicht zu töten. Zu Fuß seid ihr lautlos und fast unsichtbar.«
Voller Verachtung hatte er auf die beiden Stuten gezeigt – jene prachtvollen Stuten, die sie gekauft hatten und überschwenglich liebten, die sie den ganzen Winter über geritten und auf Flößen nach Alzac gebracht hatten. »Diese Tiere sind genau wie ihr: schön, aber nutzlos. Ihr habt keine Schlachtrösser gekauft, Mädchen. Dieser Händler hat euch Reitpferde für Frauen angedreht. Ein Nomade läßt vielleicht seine Ehefrauen oder Konkubinen auf so einem Tier reiten, oder er benutzt es als Packpferd; aber er würde sich hüten, auf einem dieser müden Klepper in die Schlacht zu reiten, wenn er mit seinem Kopf auf den Schultern ins Lager zurückkehren möchte.«
»Aber ich habe diese Pferde mit gutem Gold bezahlt! « rief Keshna empört, und sie wollte noch mehr sagen, doch Stavan brachte sie mit einem Blick zum Schweigen.
»Hört mir zu, und hört mir gut zu, ihr Frauen, die ihr Kriege-rinnen werden wollt: Die eine Stute ist fast weiß, und die andere ist von einer hellen Braunschattierung, ihre Reiter heben sich deutlich gegen jeden Hintergrund ab. Auf diesen Tieren seid ihr ein leichtes Ziel. Aus diesem Grund reiten nur Nomadenhäuptlinge weiße Pferde – ein weißes Pferd zu reiten ist so gefährlich, daß nur ein großer Krieger oder ein Dummkopf auf einem solchen Tier in die Schlacht stürmen würde.
Ein gutes Schlachtroß ist dunkel: kupferfarben, dunkelbraun oder kastanienbraun. Ein Pferd mit einem graubraunen Fell verschmilzt ebenfalls gut mit dem Hintergrund, besonders in wüstenreichen Gegenden. Schwarz ist gut bei Nacht, kann aber bei Tag zum Problem werden, deshalb nimmt man schwarze Pferde hauptsächlich für Stoßtrupps. Wenn ihr ein Pferd in der richtigen Farbe gefunden habt, müßt ihr es selbst zureiten, bevor ihr mit ihm in die Schlacht reiten könnt. Ihr müßt ihm beibringen, nicht vor euch zurückzuschrecken, wenn ihr Kriegsbemalung angelegt habt; nicht zu scheuen und durchzugehen, wenn der Feind auf ihn zustürmt und gellende Schlachtrufe die Luft erfüllen. Ihr müßt ihm beibringen, ruhig zu bleiben, wenn er Rauch und Blut wittert, und nicht in Panik zu geraten, wenn Menschen und Pferde um ihn herum sterben. Wenn ihr absitzt, um einen Angreifer im Nahkampf zu überwältigen, sollte euer Pferd stehenbleiben und auf euch warten, denn jemand, der mitten in einer Schlacht hinter seinem Pferd herlaufen und es einfangen muß, ist schon so gut wie tot. Ein wirklich gutes Schlachtroß wird sogar selbst kämpfen, indem es sich auf der Hinterhand aufbäumt, um einen Angreifer kampfunfähig zu machen oder das Pferd eines Feindes mit seinen Vorderhufen abzuwehren.«
»Du sprichst die ganze Zeit von ›en«, sagte Keshna. In ihrer Stimme schwang zum ersten Mal echter Respekt mit. »Heißt das, daß nur Hengste gute Schlachtrösser abgeben?«
»Ob Hengst, Stute oder Wallach ist völlig egal. Es ist schwer genug, ein gutes Schlachtroß zu finden, ohne daß man sich Gedanken über sein Geschlecht macht. Du brauchst ein intelligentes, zähes, dunkles Pferd, das schnell und schlau ist. Ein Pferd, das dich liebt und sich von niemand anderem reiten läßt. Du brauchst ein Pferd, das du mit und ohne Sattel reiten kannst; ein Pferd, das auf den leichtesten Druck deiner Schenkel reagiert; ein Pferd, das dich so sehr liebt, daß es nur deine Stimme zu hören braucht, um zu tun, was du ihm sagst, so daß du beide Hände zum Kämpfen frei hast.«
»Gibt es solche Pferde überhaupt?« wollte Luma wissen. »Ja, ich hatte sechs solcher Tiere.«
»Was ist aus ihnen geworden?«
»Sie sind alle unter mir im Kampf gestorben – bis auf das letzte, das von einem Feigling namens Puhan gestohlen wurde, als ich besinnungslos auf dem Schlachtfeld lag. Später hat Changar – Vlahans Schamane und Wahrsager – dieses Pferd Gott Han geopfert, indem er ihm die Kehle aufschlitzte und sein Blut trank.«
Keshna gab ein würgendes Geräusch von sich, und Stavan lächelte. »Deine Cousine scheint einen schwachen Magen zu haben«, sagte er zu Luma. »Aber dagegen läßt sich schnell etwas tun.«
Am nächsten Morgen war Stavan mit Luma und Keshna zum Festland hinübergerudert, um ein Lager auf einer felsigen Landspitze aufzuschlagen, wo ein so unablässiger Wind herrschte, daß er selbst
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