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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Feuer zurück und trank erneut. Er wischte sich den weißen Schaum von den Lippen und blickte Keru lange Zeit schweigend an, bevor er etwas sagte. Es war kein freundlicher Blick: Die grünen Augen des alten Mannes waren noch nie so wölfisch gewesen und sein Mund noch nie derart grausam.
    »Wo hast du dieses verfluchte Bärenfell her?«
    »Von einem kleinen Stamm, der sich das Schneevolk nennt«, erwiderte Keru, eifrig darauf bedacht, zu erklären, daß er es nicht böse gemeint hatte. »Sie sind aus dem Norden gekommen, weil sie das Gerücht gehört hatten, es gebe nun, da sich die großen Stämme alle aufgelöst haben, in der Steppe reichlich Weideland für alle. Als meine Männer und ich ihre Packpferde und Frauen sahen, machten wir uns wie gewöhnlich zum Angriff bereit, doch als wir gerade unsere Pfeile in die Bögen spannten, kam mir plötzlich eine Idee. ›Wozu sollten wir uns die Mühe machen, sie zu töten, und dabei riskieren, daß unsere Pferde im Kampf verletzt werden‹ habe ich zu Craikhan gesagt, ›wenn wir sie wie Kühe melken können, und zwar ohne jede Gefahr für uns?‹ Und Craikhan, der bekanntlich ein sehr vernünftiger Mann ist, meinte: ›Wozu ein Risiko eingehen?‹ Deshalb haben wir sie nicht angegriffen, sondern sie einfach nur umzingelt, ein bißchen mit unseren Waffen herumgefuchtelt und sie in Angst und Schrecken versetzt. Wir waren nämlich fünfzehn Krieger und sie nur fünf.«
    Wie gewöhnlich sprudelten viel zu viele Worte über Kerus Lip-pen, doch Changar unterbrach ihn ausnahmsweise einmal nicht.
    »›Was habt ihr für uns?‹ habe ich die Jammergestalt von einem Häuptling gefragt. ›Welchen Preis zahlt ihr für euer erbärmliches Leben?‹ Also, dieses Schneevolk hatte kein Gold, deshalb bot mir der Häuptling als erstes seine jungfräuliche Tochter an – häßlicher als Ziegen –, dann seine Ehefrauen – abstoßende alte Weiber, alle miteinander –, dann versuchte er, uns seinen schreienden Sohn aufzudrängen. Schließlich, als ich Craikhan befahl, ihm seinen Dolch an die Kehle zu setzen, erinnerte sich der Häuptling an das Bärenfell. Zuerst hat ihm keiner van uns geglaubt, als er es erwähnte, denn schließlich weiß jeder, daß Bären braun oder schwarz sind, rotbraun und manchmal auch gelblichbraun, aber der Häuptling erklärte beharrlich, hoch oben im Norden durchstreiften große weiße Bären das Land. Sie liefen so schnell wie Hirsche, sagte er, und sie könnten schwimmen und wären so riesig, daß sie ein Pferd mit einem einzigen Prankenhieb töten könnten.
    Der Häuptling behauptete, der Geist von Gott Han bewohne die weißen Bären, und als er mir das Bärenfell gab, sagte er, es enthielte einen mächtigen Zauber. Ehrlich gesagt, ich habe ihm seine Geschichte nicht so ganz abgekauft, aber da sie sonst nichts Wertvolles besaßen und es meinen Kriegern keine Ehre eingebracht hätte, mit den Köpfen eines so verlausten Haufens halbverhungerter Männer heimzukehren, nahm ich den Pelz und brachte ihn dir, Onkel. Ich dachte, wenn er wirklich irgendeinen Zauber ent-hält, könntest du ihn vielleicht finden. Jetzt ist mir klar, daß ich dich mit meinem Geschenk beleidigt habe, und es tut mir aufrichtig leid, daß ... «
    Changar tat die lange Entschuldigung, die unweigerlich folgen würde, mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. »Genug von deinem weibischen Geschwätz. Halt den Mund und hör mir zu: Wenn du dieses Zelt verläßt, will ich, daß du das Bärenfell aus dem Lager schaffst, es in kleine Stücke zerschneidest und verbrennst. Es darf nichts davon übrig bleiben, hast du mich verstanden? Nichts, gar nichts, nicht einmal ein winziger Fetzen von der Größe eines Grassamens. Du hast mir kein Geschenk gebracht. Du hast mir meinen Tod gebracht.«
    Keru erbleichte vor Schreck. »Deinen Tod, Onkel? Aber wie ...?«
    »Wie? Das ist eine gute Frage. Das frage ich mich auch gerade. Ich weiß, du hattest nicht die Absicht, einen Fluch in mein Zelt zu bringen. Du bist immer ein guter Junge gewesen. Aber wenn ich dein Gesicht betrachte, kann ich etwas sehen, was mir nicht behagt. Ich kann die Augen deiner Mutter sehen.«
    »Ich kann doch nichts für meine Augen, Onkel Changar. Ich hätte auch gerne blaue Augen, aber ich habe gemischtes Blut. Du hast immer gesagt, die Mutterländer stünden mir förmlich ins Gesicht geschrieben. Ich kann nichts daran ändern.«
    »Natürlich kannst du das nicht. Aber denk mal über folgendes nach: Nachts träume ich von einem weißen

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