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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Mehrere Männer und Frauen sprangen vom Rücken ihrer Pferde, um sie von ihrem schrecklichen Vorhaben abzubringen, doch Kandar war als erster bei ihr. Wütend packte er Keshna unter den Armen, riß sie mit einem Ruck auf die Füße und schlug ihr den Dolch aus der Hand.
    »Was denkst du dir eigentlich dabei?« brüllte er.
    »Ich will den Kopf dieses Bastards haben!« brüllte Keshna zurück.
    »Nein! « schrie Kandar. »Nein! So etwas tun wir nicht! Einen Kopf zu erbeuten ist Blasphemie, eine Sünde gegen die Göttin Erde. Es ist pervers, unrecht und barbarisch! «
    »Du schimpfst
mich
barbarisch? Und was ist mit ihnen?« Sie spuckte auf die Leiche des Mannes, dessen Kopf sie hatte abtrennen wollen. »Sie haben meine Mutter vergewaltigt und ihre ganze Familie abgeschlachtet! «
    »Wer? Diese Männer?
Diese
Männer hier haben die Familie deiner Mutter ermordet?«
    »Nicht diese hier, aber andere Männer wie sie. Tritt zur Seite, Kandar, und laß mich meiner Mutter etwas mitbringen, worüber sie sich freuen kann.«
    Statt sie gewähren zu lassen, umklammerte er ihre Arme mit schraubstockartigem Griff und zwang sie, zum Bach hinüber zu gehen. »Ins Wasser mit dir!« befahl er. Er sprach mit gedämpfter, von kalter Wut erfüllter Stimme. »Geh ins Wasser und kühl dich ab, Keshna, sonst werde ich dich eigenhändig in Fesseln legen, nach Shara zurückverfrachten und Ranala vor die Füße werfen. Du wirst dann nie wieder – und ich meine wirklich
nie wieder –
in deinem Leben mit den Nattern oder irgendeinem anderen Verband der Schlangen reiten.«
    Etwas in Kandars Stimme mußte Keshna verraten haben, daß es ihm mit jedem Wort, das er sagte, bitterernst war. Mürrisch befreite sie sich aus seinem Griff und watete in den Bach.
    »Setz dich hin«, befahl Kandar. »Bespritz dich mit Wasser. Wasch die böse und unverzeihliche Halsstarrigkeit aus deinem Herzen, die dich auf die irrige Idee gebracht hat, eine Natter könnte jemals auch nur mit dem Gedanken spielen, den Kopf eines Feindes als Trophäe zu nehmen.«
    Keshna setzte sich nieder und bespritzte sich mit Wasser. »Und jetzt steh wieder auf.«
    Sie erhob sich.
    »Wie fühlst du dich jetzt?«
    »Ich hasse die Bastarde noch immer.«
    »Ich verlange nicht von dir, daß du sie liebst. Ich sage dir nur, daß du meine Befehle befolgen wirst, solange du mit mir reitest; und ein Befehl, dem keiner meiner Krieger ungestraft zuwiderhandelt, lautet, keine Köpfe zu erbeuten.«
    Seine Stimme wurde ein klein wenig sanfter. Nicht versöhnlich – Luma konnte sehen, daß er nicht in der Stimmung war zu verzeihen –, doch Kandar liebte Keshna, und im gleichen Maße, wie er über ihre Tat empört und schockiert war, mußte er auch Mitleid mit ihr empfunden haben. »Wenn wir anfangen, die Köpfe unserer Feinde zu erbeuten, werden wir bald nicht besser als die Nomaden sein. Kannst du das nicht verstehen? Was hat es für einen Sinn, die Mutterländer zu verteidigen, wenn wir ebenso brutal und grausam werden wie unsere Feinde? Diese Krieger hier haben zwar versucht, uns umzubringen, aber sie wurden als Kinder der Göttin Erde geboren, genau wie wir. Sie haben sich vielleicht von ihr abgewandt, ihr abgeschworen oder sogar gelobt, sie zu vernichten; aber wir werden diese Toten heil und in einem Stück in ihren Schoß zurückkehren lassen.«
    Wieder fragte er Keshna, ob sie verstehe, und wieder nickte sie. Zufrieden streckte Kandar ihr die Hand hin, um ihr das schlammige Bachufer hinaufzuhelfen. Sie nahm zwar seine Hand, weigerte sich aber, ihm ins Gesicht zu sehen. Als sie das Ufer hinaufkletterte, tropfte Wasser von ihren Beinlingen und aus ihrem Haar und rann über ihre Wangen. Während die Nattern schweigend zuschauten, hob sie ihren Dolch vom Boden auf und schob ihn wieder in ihren Gürtel.
    »Hier, nimm deinen neuen Bogen«, sagte Luma sanft, doch Keshna war nicht in Stimmung für Freundlichkeit, nicht einmal von Luma; und die Miene, mit der sie ihre Freundin ansah, als sie ihren Bogen entgegennahm, war so finster wie eine Gewitterwolke.
    Als Keshna sich wieder auf den Rücken ihrer Stute geschwungen hatte, saß Luma ab und ging zu den drei toten Kriegern. Sie blieb neben dem Mann in der Skalpweste stehen, blickte auf ihn hinunter und versuchte sich vorzustellen, wer er gewesen war und was für ein Leben er wohl geführt hatte.
    »Ich habe vorher noch nie einen Menschen getötet«, sagte sie zu niemand Besonderem, aber eine Stimme, die sie als Trithars erkannte, erwiderte: »Nein,

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