Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
erfreut wäre, wenn er wüßte, daß er nach seinem Tod eine Götterstatue geworden war.
»Was für ein verdammtes Pech«, sagte Kandar, als Luma ihm erzählte, wo sie Nikhan gefunden hatte und in welcher Verfassung er war. Sie wanderten die mit Muscheln gepflasterten Pfade der Stadt in Richtung Haupttor hinunter und kamen sich ziemlich lächerlich vor in ihrer Händlerverkleidung, die viel zu warm und bei weitem zu protzig war, als daß zwei Schlangenkrieger sich darin hätten wohl fühlen können. Die beiden konnten sich noch an eine Zeit erinnern, als Händler Sandalen und schlichte Tuniken getragen hatten wie jeder andere normale Mensch, aber wenn man heutzutage Händler war, mußte man wie ein Pfau herumstolzieren und wie eine Schachtel mit Tempelschmuck glitzern.
Luma kratzte sich im Nacken und wies mit einer parfümierten, mit Safranflecken verunzierten Hand auf das Durcheinander von Nomadenzelten, liebevoll geschmückten Mutterhäusern und primitiven Holzhütten, aus denen die Stadt Shamban bestand. »Nikhans Tod ist nicht das Schlimmste. Shamban macht vielleicht einen friedlichen Eindruck, aber die meisten Leute, mit denen ich mich unterhalten habe, beklagten sich darüber, daß sich alle möglichen Unruhen zusammenbrauen.«
»Was für Unruhen?«
»Hast du schon mal ein Rudel Hunde um einen Knochen kämpfen sehen? Shamban ist der Knochen, und es gibt mehr Hunde, die sich darum balgen, als du zählen kannst.« Luma seufzte. »Es scheint, daß die Königin nicht länger auf die alte Weise regiert. Sie besitzt natürlich noch immer Macht, aber sie hat keine Kontrolle über die Shubhai, und Nikhans Krieger haben sich geweigert, ihr Treue zu schwören, weil sie eine Frau ist, was einen kaum überrascht, wenn man bedenkt, daß noch vor weniger als einer Generation eine Frau einem Shubhai-Krieger nicht ins Gesicht sehen konnte, ohne Gefahr zu laufen, verprügelt zu werden. Nikhan wußte, daß die Königin Schwierigkeiten haben würde, die Shubhai bei der Stange zu halten, deshalb adoptierte er kurz vor seinem Tod ihren Bruder Garash in einer großen Zeremonie, die mit viel Getrommle und zahlreichen Pferdeopfern verbunden war. Am Ende, als alle derart betrunken waren, daß sie nicht mehr geradeaus sehen konnten, ernannte Nikhan Garash zum Urknat, was soviel wie ›vorläufiger Häuptling‹ heißt. Garash sollte über die Shubhai herrschen, bis Nikhans Sohn volljährig wird. Der Junge ist erst drei, deshalb hatte Nikhan offensichtlich geplant, Garash und die Königin sollten die Stadt viele Jahre lang gemeinsam regieren, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund, über den keiner zu sprechen bereit ist, ist Garash inzwischen so etwas wie ein Ausgestoßener.«
»Du meinst, sie haben ihn ins Exil verbannt?«
»Nein, nein. Nichts derart Drastisches. Aber sie mögen ihn ganz offensichtlich nicht. Garash ist ungefähr so beliebt wie die Schuppenflechte. Die Leute spucken verächtlich aus, wenn man seinen Namen erwähnt, und wechseln das Thema. Alles, was ich herausfinden konnte, war, daß der Bruder der Königin keinerlei Macht mehr über die Shubhai besitzt und auch nicht über irgend jemand anderen. Er und seine Schwester reden auch nicht mehr miteinander. Als ich nachgehakt habe, wer die Shubhai denn nun wirklich regiert, haben die meisten Leuten keine Antwort gegeben und mich einfach stehen lassen, aber ein oder zwei Nomadentypen sagten: ›Die Halaka.‹ Wenn man Halaka wörtlich aus der Sprache der Hansi übersetzt, heißt es ›Rat der Onkel‹, aber in Wirklichkeit handelt es sich um eine kleine Gruppe von Kriegern, die die Macht an sich gerissen haben und bereit sind, jeden umzubringen, der versucht, sie ihnen wieder wegzunehmen. Du siehst also, in welch schwierige Lage uns das bringt. Wenn die Dinge nicht so chaotisch wären, könnten wir einfach direkt zur Königin gehen, ihr sagen, wer wir sind, und verlangen, daß sie uns sagt, wo die Sklaven gefangengehalten werden. Aber so gerne ich diese idiotische Verkleidung endlich ablegen würde, ich glaube nicht, daß es das Risiko wert ist. Wen es tatsächlich Sklavenlager in der Nähe von Shamban gibt, werden sie höchstwahrscheinlich von den Shubhai betrieben, und wenn die Halaka es sich in den Kopf setzen, uns zu ermorden, wird die Königin von Shamban sie nicht daran hindern können.«
»Hmmm«, meinte Kandar. Luma erwartete, er würde noch mehr sagen, aber er schwieg. Als sie in sein Gesicht blickte, sah sie, daß er grimmig das Kinn vorgeschoben und
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