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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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ein Stück Gold nieder, an dem er gerade arbeitete, stand auf und faltete die Hände über seinem Herzen. Er war ein alter Man mit kleinen, glänzenden Knopfaugen, die Luma an die Augen eines Eichhörnchens erinnerten. Ein kümmerlicher weißer Bart hing wie ein zerzaustes Büschel Flachs an seinem Kinn, und er trug einen schwarzen Leinenrock, der ihm das Aussehen eines Priesters der Göttin Chilana verlieh. Aber die Sandalen an seinen Füßen waren bis zu den Knien hinauf geschnürt und von feinen Borten aus Goldfäden durchzogen, so daß er auf Schritt und Tritt von Gold begleitet wurde.
    Luma erwiderte seine Begrüßung und dachte, daß sie noch nie zuvor einen Goldschmied außerhalb eines Tempels hatte arbeiten sehen. Dann sah sie sich in dem Raum um, betrachtete die kleinen steinernen Tiegel, die Feuergrube, die Gußformen aus Keramik, die Steinhämmer, Knochenpinzetten und anderen Werkzeuge des Goldschmiedehandwerks. Zu ihrer Linken waren zwei große, nach Westen gehende Fenster, die mehr Sonnenlicht und Hitze in den Raum ließen, als den meisten Leuten angenehm gewesen wäre, aber Gold zu bearbeiten, war offensichtlich etwas, das man nicht im Dunkeln tun konnte. Unter dem Fenster waren einige goldene Schmuckstücke ordentlich auf einem saubergeschrubbten Holzbrett arrangiert. Es waren nicht viele, nur ein schmales Armband, zwei Ketten und ein Paar wie Schmetterlinge geformte Ohrringe, doch Luma konnte sehen, daß sie wunderschön waren und sehr liebevoll gearbeitet. Als Kandar ihr von dem Goldschmied erzählt hatte, hatte er gesagt, der Mann sei ein Meister seines Faches, und als sie sich jetzt mit eigenen Augen von seinem Können überzeugen konnte, erfüllte sie das mit Zuversicht. Wenn der alte Mann mit solcher Sorgfalt arbeitete, wählte er vielleicht auch seine Worte mit Sorgfalt; vielleicht war die phantastische Geschichte, die er Kandar erzählt hatte, ja wirklich wahr. Sie hoffte, versuchte sich die Hoffnung auszureden, und hoffte dennoch.
    In der Zwischenzeit kam Kandar ohne Umschweife auf sein Anliegen zu sprechen. »Erzähl meiner Freundin, was du mir erzählt hast«, forderte er den Goldschmied auf.
    Der alte Mann lächelte. »Mit Vergnügen.« Er wandte sich an Luma: »Hast du noch diese Ohrringe?«
    »Ja.« Kandar hatte sie auf diese Frage vorbereitet, deshalb hielt sie die Ohrringe bereits in der Hand. Sie öffnete die Finger und zeigte ihm die Sonnenräder. Ein seltsamer Ausdruck erschien auf dem Gesicht des alten Mannes, teils Kummer, teils Erleichterung und teils (darauf hätte Luma schwören können) Stolz. »Wie merkwürdig«, murmelte er, »sie nach so langer Zeit wiederzusehen.« Er stand reglos da und starrte auf die Schmuckstücke wie jemand, der tief in Erinnerungen versunken ist. Luma räusperte sich vernehmlich.
    »Ich habe gehört, du weißt, was auf der Rückseite dieser Ohrringe steht«, sagte sie.
    Der alte Mann kehrte mit einem Ruck wieder in die Gegenwart zurück. »Das sollte ich wohl. Ich habe es schließlich selbst geschrieben.« Er blickte sie durchtrieben an und zupfte an seinem Bart. »Ich wurde in einem Tempel ausgebildet. Ich habe die vollständige Initiation in die Geheimnisse und Riten von Chilana empfangen und wurde in der Goldschmiedekunst ausgebildet ... ebenso wie meine Schwester, und vor uns beiden unsere Mutter, und vor ihr unser Großonkel. Und vor ihm unzählige frühere Generationen. Wir lebten in einem kleinen Gebirgsdorf, wo man manchmal Goldklumpen in den Bächen fand, aber mein Mutterclan wusch auch Goldsand aus. Wir fertigten Schmuckgegenstände aus Gold an, lange bevor die Nomaden auf ihren verfluchten Pferden kamen, um zu morden und uns zu versklaven. Wir arbeiteten mit Gold, als es noch keinen Wert besaß, außer um die Göttin Erde bei Festen zu ehren. Unser Mutterclan machte den schönsten Tempelschmuck, aber wir trieben keinen Tauschhandel damit, so wie die Leute heutzutage mit Gold handeln. Wir haben die Schmuckstücke weggegeben, denn alles andere wäre ein Sakrileg gewesen. Aber diese hier«, er zeigte auf die Ohrringe, »habe ich weder freiwillig gemacht noch freiwillig weggeben. Ich habe sie unter Tränen gefertigt und unter Androhung von Folter. Ob ich weiß, was auf der Rückseite steht? Wie könnte ich das jemals vergessen ... Auf dem einen Sonnenrad steht:
Im Namen der Göttin Chilana, rettet uns!
Und auf dem anderen:
Wir sind Schmetterlinge in ihrem Netz.«
    Kandar hatte Luma zwar schon erzählt, daß der alte Mann die Ohrringe gemacht

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