Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
obwohl es im Inneren zweifellos warm und trocken war. Es war niemand in Sicht.
Kandar setzte sich auf einen umgedrehten Blumentopf. »Ich muß dir etwas sagen«, begann er. Doch statt fortzufahren, saß er nur schweigend da und sah sie an. Eine leichte Brise kam auf, und von irgendwo aus der Ferne schallte das Lachen einer Frau zu ihnen herüber.
»Was gibt es denn?« fragte Luma.
Kandar räusperte sich. »Ich habe eine gute Nachricht.«
Sie war erleichtert. »Ich bin froh, das zu hören. Willst du's mir nicht erzählen?«
»Die gute Nachricht ist, daß wir vielleicht nicht zur Königin zu gehen brauchen, um herauszufinden, ob in Shamban Sklaven gehalten werden. Ich hatte heute bemerkenswertes Glück. Ich habe den Morgen damit verbracht, nach Goldschmieden zu suchen. Ich dachte, einer von ihnen könnte uns vielleicht sagen, ob diese Sonnenrad-Ohrringe, mit denen Marrah bestochen werden sollte, wirklich von Sklaven gefertigt wurden. Ich fand zwei Goldschmiede in den Tempeln, die mir keine Auskunft geben konnten, und einen unten bei der Lagune, der so beleidigt über meine Frage war, daß er sich weigerte, mit mir zu sprechen. Ich war schon drauf und dran aufzugeben, als ich durch Zufall auf einen alten Mann traf, der eine Art eigene Werkstatt hatte – ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll –, und zwar in der Nähe des Hauptversammlungsplatzes. Im Laufe meiner Unterhaltung mit ihm fand ich heraus, daß es inzwischen keine Sklaven mehr in Shamban gibt. Und ich fand noch etwas heraus, etwas noch viel Interessanteres, und zwar ebenfalls mehr oder weniger durch Zufall.«
Kandar hielt abermals inne und warf Luma einen bekümmerten Blick zu, der so untypisch für ihn war, daß sie nicht wußte, was sie davon halten sollte. »Bei Hans Eiern!« fluchte er unterdrückt. »Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich dir die Neuigkeit beibringen soll. Ich wünschte, Marrah oder Ranala wären hier. Marrah hat eine behutsame Ausdrucksweise, und wenn Ranala etwas sagt, dann ist es immer so grob und direkt wie ein Schlag auf den Kopf, aber ...« Er legte ihr erneut den Arm um die Schultern und sah sie mit einem Ausdruck an, der verdächtig an Mitleid grenzte.
»Kandar«, sagte Luma beherrscht. »Ich hasse Rätsel, und ich hasse sie ganz besonders, wenn ich darin verwickelt bin. Also sag, was du zu sagen hast. Wenn es eine schlimme Nachricht ist, dann kann ich sie ertragen. Ich bin an deiner Seite in den Kampf geritten und habe einen Mann getötet, indem ich ihm einen Pfeil durch den Hals geschossen habe. Also behandle mich bitte wie eine Nattern-Kriegerin und nicht wie ein unerfahrenes Mädchen, das beim Anblick von Blut in Ohnmacht fällt.«
Kandar legte die Hände auf die Knie und sah Luma auf seine alte, offene Art an. »Du hast vollkommen recht«, erwiderte er. »Bitte verzeih mir, daß ich dich nicht wie eine Kriegerin behandelt habe. Du hast recht, du bist eine Natter, und du hast dich mehr als einmal bewiesen. Es ist nur so, daß das, was ich dir zu sagen habe, keine absolut verläßliche Information ist und dich vielleicht aus der Fassung bringt. Ich wollte erst seine Richtigkeit überprüfen, bevor ich es dir erzähle. Ich hatte gehofft, mit Nikhan sprechen zu können, bevor du ihn aufsuchst, aber als ich dann erfuhr, daß er tot ist ...«
»Moment mal! Willst du damit etwa sagen, daß du bereits wußtest, daß Nikhan tot ist, bevor ich es dir gesagt habe?« Sie starrte Kandar an. Wenn er nicht so nüchtern ausgesehen hätte, hätte sie ihn verdächtigt, zuviel shambanischen Wein getrunken zu haben. »Ist es deine Angewohnheit, die Leute lang und breit erzählen zu lassen, wenn du schon vorher weißt, was sie sagen werden?«
»In den meisten Fällen nicht; aber in diesem, ja. Ich weiß, du hast mehr Mumm im kleinen Finger als die meisten Leute im ganzen Körper, aber ich weiß auch, daß du großen Kummer in deinem Herzen trägst.« Luma wollte widersprechen, doch er bedeutete ihr mit einer Geste, ihn ausreden zu lassen. »Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Ich
kenne
dich, Luma. Und was ich erfahren habe, könnte dir vielleicht weh tun.« Er holte tief Luft. »Also denk daran, daß das, was ich dir jetzt sagen werde, im Moment nur ein Gerücht ist. Wir haben keine Möglichkeit zu überprüfen, ob es stimmt.« Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. »Meine Neuigkeit ist: ich habe vielleicht – nur vielleicht – eine Spur von Keru gefunden.«
»Du bist also zurückgekommen.« Der Goldschmied legte
Weitere Kostenlose Bücher