Althalus
ich nun anspreche. Aber es wird euch keine andere Wahl bleiben, als mir zu vertrauen. Ich habe mehrmals angedeutet, dass das Haus nicht wirklich hier ist, aber das stimmt nicht ganz. Das Haus ist hier, aber es ist auch sonst über all.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass es herumwandert?«, fragte Gher ungläubig. »Nein, das muss es gar nicht, Gher. Es ist überall zur selben Zeit. Bestimmt ist euch aufgefallen, wie groß das Haus ist.«
»O ja«, antwortete Althalus. »Als ich hierher kam, um das Buch zu stehlen, war ich überzeugt, dass ich Wochen brauchen würde, um jedes Zimmer zu durchsuchen.«
»Du hättest Jahrhunderte gebraucht, Althalus, und selbst dann hättest du es nicht einmal oberflächlich geschafft. Sagen wir einstweilen bloß, dass dieses Haus die Welt ist, obgleich das eine zu grobe Vereinfachung darstellt. Das Haus ist noch viel größer als die Welt. Wenn ich sage, das Haus ist überall, meine ich überall. Als Deiwos es ursprünglich erschuf, gab es nur dieses eine Gemach hier. Von hier machte er sich auf den Weg, alles andere zu erschaffen. Zu jedem Ort, den er entstehen ließ, schuf er eine Tür. Deshalb wuchs das Haus und deshalb sind die Türen wichtig -nicht die Zim mer. Ein Beispiel: Wenn Andine ihren Thronsaal betreten wollte, um mit ihrem Schatzmeister Dhakan zu reden, könnte sie ihr Pferd satteln, durch Kagwher hinunterreiten, sich an Kanthon vorbeistehlen und schließlich nach Osthos gelangen. Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit. Sie brauchte nur den Korridor des Hauses entlanggehen, der in den Süden führt, dort eine bestimmte Tür öffnen und durch diese Tür in ihren Thronsaal treten.«
»So einfach kann es doch nicht sein!«, rief Bheid.
»Ist es auch nicht. Sie muss nicht nur durch die richtige Tür, sie muss auch glauben, dass es die richtige ist. Der Schlüssel zur Tür ist der Glaube.«
»Und wenn sie's nicht glaubt?«, wollte Gher wissen.
»Betritt sie ein leeres Zimmer.« Dweia zuckte die Schulter. »Als ich sagte, dass der Glaube der Schlüssel ist, meinte ich es wörtlich.«
»Demnach ist es eine Frage des Glaubens und der schöpferischen Vorstellung?«, sagte Bheid nachdenklich.
»Richtig. Wir schaffen Dinge, indem wir glauben, dass sie so sind.«
»Es gibt Leute da draußen, die alle möglichen seltsamen Dinge glauben, Emmy. Diese Dinge sind nicht deshalb wahr, weil die Leute glauben, dass sie wahr sind«, widersprach Eliar.
»Für diese Leute sind sie wahr.«
»Drum ists viel besser, wenn man an gar nichts glaubt, Eliar«, meinte Gher. »Dann kommt nicht alles so durcheinander.«
»Aber es macht die Welt auch ein wenig einsam, nicht wahr?«, entgegnete Eliar.
»Man kann damit leben.«
»Die Menschheit muss an etwas glauben, Gher«, erklärte Bheid dem Jungen.
»Warum?«
»Weil…« Bheid stockte.
»Wir haben mit Gher noch einen weiten Weg vor uns, nicht wahr?«, sagte Leitha.
»Ja«, bestätigte Althalus. »Aber er ist ein guter kleiner Junge, darum wird er Geduld walten lassen und uns den Weg zeigen.«
»Das habe ich nicht gemeint, Althalus.«
»Ich weiß. Aber das ist erst der Anfang.«
»Das reicht, Althalus«, wies Dweia ihn zurecht.
»Ja, Liebes.«
Gher runzelte die Stirn. »Ghend kann das auch, nicht wahr? Ich mein', er besitzt dieses Haus in Nekweros und das hat auch so Türen, oder nicht?«
»Ja. Es heißt Nahgharash.«
»Dadurch kann er -oder seine Leute - schbar aus dem Nirgendwo auftauchen. Das wird die ganze Sache doch sehr interessant machen, nich wahr?«
»Mit ›schbar‹ meinst du wohl scheinbar, oder? Aber beschreib mir, was du unter ›interessant‹ verstehst«, forderte Dweia ihn auf.
»Spaß«, erklärte Gher. »Ghend taucht hier auf, wir tauchen dort auf, und keiner weiß genau, wo jemand anders ist -oder wen er bei sich haben wird, wenn er auftaucht. Das is das spassendste Spiel, das man sich vorstellen kann.«
»›Spassendst‹?«, fragte Eliar. »Ich glaube nicht, dass es dieses Wort gibt.«
»Du hast doch verstanden, was ich mein', oder nicht?«
»Ja, schon, aber…«
»Dann is' es doch ein Wort, nicht wahr?«
»Der Junge wird mir noch viel zu denken geben, glaube ich«,
stellte Dweia fest.
»Es ist Osthos!«, rief Andine, als Eliar die Tür am Ende eines der langen, schwach beleuchteten Korridore im Südflügel des Hauses öffnete.
»Nur schauen, Andine«, befahl Dweia. »Geh jetzt nicht hindurch. Wir haben nicht genug Zeit, nach dir zu suchen.«
Althalus bemerkte, dass die Türschwelle verschwommen
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