Althea - Das Erwachen
Geschichte kam mir immer unwirklicher vor, wie ein nichtendenwollender Albtraum. Ich kniff mich erneut in den Arm. Es tat weh.
Vor nicht einmal einer Stunde war mir noch nichts Unwirklicheres als mein neues Ich vorstellbar gewesen. Das relativierte sich gerade etwas angesichts meiner Umgebung, eine menschenleere Stadt war durchaus ebenfalls äußerst unwirklich. Ich fragte mich fast schon zwangshaft, was war nun eigentlich wirklich unwirklicher, sich nach einem Blackout in einem fremden Körper oder sich in einer menschenleeren Stadt wiederzufinden. Mir waren das eindeutig gerade zu viele wirklich und unwirklich, um noch mental gesund zu sein. Ich schob die äußerst beunruhigenden Gedanken fürs Erste beiseite und konzentrierte mich anstatt dessen auf meine Umgebung.
Ich nahm meine Umwelt viel direkter und intensiver wahr, als ich es gewohnt war. Ich hörte ungewohnt viele Tiere im Ort, überall war Bewegung, nicht nur die üblichen Vögel, sondern auch andere Tiergattungen, in einiger Entfernung bellte ein Hund unfreundlich und durchdringend. Der Wind ließ einen Baum rascheln, das Geräusch kam mir fast vor wie ein klassisches Konzert, so intensiv und mit Dutzenden von Instrumenten. Ich sah mit einer unglaublichen Schärfe in der Ferne, ich konnte sehr viel mehr Details als früher ausmachen, obwohl ich nie kurzsichtig gewesen war. Ganz im Gegenteil, aber das hier war etwas völlig anderes. Jedes noch so kleine Detail enthielt unglaublich viele Informationen, die mein Gehirn erstürmten. Ich hatte ganz offensichtlich nicht nur das Geschlecht gewechselt, es gab noch sehr viel mehr an mir, was jetzt anders war.
Die Straße vor dem Krankenhaus war menschenleer und schaute in etwa so aus, wie sie es in einem Endzeitfilm getan hätte. Es parkten einige Autos ganz normal so, wie man es erwarten würde, andere waren gegen Hindernisse geprallt oder einfach mitten auf der Straße liegen gelassen, kein Einziges bewegte sich oder hatte Insassen.
Gegenüber auf der anderen Straßenseite sah ich das Verkehrsamt inklusive einer Touristeninformation und ich fing, angesichts der Situationskomik, an laut und schallend zu lachen. Das glockenhelle Lachen verunsicherte mich jedoch zutiefst, und ich verstummte wieder. Was sollte ich jetzt nur tun? Irgendetwas unglaublich Furchtbares war passiert. Ich hoffte, dass es wenigstens nur diesem einen Ort hier widerfahren war und nicht noch mehr Orte erwischt hatte.
Vielleicht wurde hier ein Staudamm errichtet und sie hatten deshalb alles evakuiert - aber warum waren dann all die Autos zurückgelassen worden? Vielleicht eine Katastrophe? Die Häuser sahen intakt aus, Erdbeben hatte es jedenfalls schon mal keins gegeben. Und wie hatte ich all die Zeit überleben können, jemand musste doch für Nahrung und Medikamente gesorgt haben, oder ich hätte das monatelange Koma ganz sicher nicht überstanden. Koma, das klang schon mal wie eine richtige und vernünftige Erklärung dafür, dass ich so lange weggetreten war. Nicht, dass mir die Erkenntnis gerade auch nur im Geringsten weiterhalf.
Mein dann doch mittlerweile ziemlich grimmiger Hunger meldete sich durch lautes Magenknurren erneut zu Wort. Ich musste schnellstens etwas zu Essen finden. Allzu viele Reserven hatte mein neuer Körper offensichtlich eher nicht. Ich band die überflüssige Kleidung und meine Schuhe in der Jacke zusammen und warf sie mir über die Schulter. Dann ging ich die Straße einfach in einer Richtung los, irgendwo musste sich doch irgendwo etwas Essbares auftreiben lassen.
Was mir alles durch den Kopf ging, als ich die Straße durch das Dorf lief, kann ich heute nicht mehr beschreiben. Meine Gedanken waren völlig konfus, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, alles war wie in Watte gepackt. Wie war ich in diesen Körper gekommen und warum war das Krankenhaus leer und verlassen? Normalerweise wurden Krankenhäuser nicht einfach so geschlossen, und schon gar nicht, wenn noch Patienten darin lagen! Irgendwie musste ich eine Antwort auf meine Fragen bekommen, und zwar möglichst bald, bevor ich völlig durchdrehte. Aber diese Gedanken brachten mich gerade auch nicht weiter.
Ich fing stattdessen an, wieder etwas mehr auf meinen neuen Körper zu achten, als ich vorsichtig die Straße entlang ging. Es fühlte sich überhaupt nicht nach meinem Körper an, soviel war schon mal sicher. Ich war ziemlich groß, viel zu groß für eine Frau, sogar größer als mein altes Ich früher. Ziemlich lange Beine, soweit ich beurteilen
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