Althea - Das Erwachen
da waren sie! Feinstes Dosenfutter, davon hatte ich mich vor meinem Koma auch gerne mal öfter, teilweise sogar monatelang ernährt, also würde es diesen Körper bestimmt auch nicht gleich umbringen. Ich war versucht, ein bisschen Geld auf die Tresen zu legen. Schließlich war das hier eigentlich Diebstahl.
Mein Geldbeutel war noch in der Hose, mit allen Papieren und, soweit ich mich erinnerte, auch mit dem Geld, dass ich an jenem Tag am See dabei gehabt hatte. Nicht, dass es viel gewesen war. Oder mir die Papiere mit diesem Gesicht noch irgendwas genutzt hätten. Eine operative Geschlechtsumwandlung nahm mir wohl auch keiner ab, dafür waren die Veränderungen dann doch etwas drastisch. Ich musste unwillkürlich bei dem Gedanken lachen, und erschrak wieder über meine eigene Stimme, das klang doch alles furchtbar hoch. Früher hatte ich eine ziemlich angenehme Stimme gehabt, wie man mir mal gesagt hatte. Um genau zu sein eine heimliche Liebe aus fernen Landen, die ich eine Weile nur telefonisch und über das Internet kannte.
Ich fand schließlich in dem ganzen Gerümpel ein paar Dosenfrüchte, ein paar fertige Mahlzeiten wie Suppen, die man nur erwärmen musste, und einen Öffner. Ich öffnete sofort eine Dose mit Pfirsichen und aß die Pfirsiche gierig einfach mit den Händen. Die Soße war auch gleich leer getrunken. Die Früchte waren sehr lecker und sie füllten erfreulich den Magen. Die Dosen waren viel zu klein, fand ich in dem Moment, und öffnete gleich eine Zweite, die ich ebenso gierig leerte. Der Saft lief mir über das Kinn, aber das war mir gerade ziemlich egal. Danach ging es mir deutlich besser.
Plötzlich überfiel mich das beklemmende Gefühl, das Haus könnte vielleicht doch nicht ganz leer sein, und ich startete eine weitere Untersuchung, diesmal vor allem genauer im hinteren Teil des Ladens und dem Bereich, der in den Hinterhof führte. Aber auch hier war niemand da, und keiner reagierte auf meine Rufe.
Mein erstes „Hallo!“ ließ mich erneut zusammenzucken. Irgendwie musste ich wieder an meinen alten Körper kommen, dachte ich befremdet. Nur - wie sollte ich das anstellen? Trotzdem, es war eine Sache, hinter einer Frau her zu sein, die so aussah wie ich jetzt, aber die Frau selbst zu sein war doch ziemlich beängstigend.
Nicht zum ersten Mal an diesem Tag hatte ich meine Umgebung völlig aus dem Fokus verloren und stand regungslos mitten im Laden, voller Erschütterung über den Zustand, in dem sich das Dorf befand, den Zustand, in dem ich mich befand, und die völlige Abwesenheit von Menschen. Das Wort Plünderung ging mir noch durch den Kopf, als ich mir ein Taschenmesser einpackte, das neben der Kasse lag. Ich versuchte jedoch, so gut es ging, mich nicht weiter ablenken zu lassen.
Am liebsten wäre mir eine Waffe gewesen. Ich war verunsichert wegen der gruseligen Zustände in dem verlassenen Städtchen. Aber welche Waffe wäre sinnvoll gewesen? Ich wollte ganz sicher nicht auf einen ebenfalls verunsicherten Polizisten oder Soldaten stoßen, der mir vielleicht aus Versehen das Licht ausblies, weil er mich für gefährlich oder einen Plünderer hielt.
Ich verließ den Laden und sah mich weiter in dem Dorf um. Die Straßen waren überall völlig ungepflegt. Hier hatte auch schon lange kein Straßendienst mehr gereinigt. Wenn der dritte Weltkrieg ausgebrochen wäre, hätte aber alles doch bestimmt noch mal ganz anders ausgesehen, das hier war nicht die Folge eines Krieges, das war irgendwie anders. Unerklärlich und völlig unverständlich. Meine Generation war so ziemlich die Erste, die mit der fürchterlichen Drohung eines Atomkrieges aufgewachsen war. Endzeitszenarien und unrealistische Geschichten darum gab es haufenweise, bis sich die meisten Menschen endlich nach jahrzehntelangen Streitereien auf die Wahrheit geeinigt hatten. Nach dem Schreckgespenst Atomkrieg wäre einfach gar nichts mehr gekommen, nur noch Tod und Verfall für alle.
Und das hier sah einfach nicht danach aus, viel zu wenig Zerstörung, nicht einmal genug Vandalismus für irgendwelche Aufstände. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass in Deutschland ein Bürgerkrieg ausgebrochen war, so stark hassten sich die verschiedenen Volksgruppen bei uns nun auch wieder nicht. Einen Bürgerkrieg hatte es vor kurzem in Jugoslawien gegeben, aber es sah hier auch nicht wirklich nach Krieg aus. Sogar die Preußen und die Bayern hassten sich nicht mehr stark genug für einen weiteren Bürgerkrieg, der letzte lag sehr lange
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