Alzheimer und Demenzen
Beeinträchtigungen zu verbergen, um sein normales Leben in gewohnter Weise fortzusetzen, bemerken nahe stehende Menschen seine Probleme im alltäglichen Leben dennoch. Wenn sie ihn darauf ansprechen, machen sie all seine Verdrängungsversuche zunichte, was nicht selten zu heftigen Gefühlsreaktionen bei dem Kranken führt: Wut, Aggression, Depression, Reizbarkeit, Streitsüchtigkeit, Unkooperativität oder Rückzug. In einem späteren Stadium der Erkrankung ist es schließlich immer weniger bzw. immer seltener möglich, sich selbst realistisch einschätzen zu können und Einsicht in die eigene Krankheit, die eigenen Schwächen und Störungen zu haben. Wenn ein Demenzkranker daher die Frage, ob er denn Gedächtnisprobleme habe, verneint, dann nicht etwa, weil er lügt oder verdrängt, leugnet oder es sich nicht eingestehen will, sondern weil er seine Gedächtnisprobleme gar nicht mehr wahrnimmt oder aber sie kurzfristig bemerkt, jedoch sofort wieder vergisst.
Die Ansichten stimmen nicht mehr überein
In zunehmendem Maße machen demenzkranke Menschen die Erfahrung, dass ihre Sicht auf die Welt und ihre Einschätzung von sich selbst nicht mehr mit den Interpretationen der anderen Menschen übereinstimmen. Sie nehmen sich selbst und die Dinge um sie herum ganz anders wahr, als es die anderen Menschen tun! Dieser Verlust an sogenannter Kongruenz (= Übereinstimmung) kann einen Menschen ganz schön verunsichern!
Da demenzkranke Menschen ihre eigene Unfähigkeit schließlich als solche nicht mehr wahrnehmen und es sich daher nicht erklären können, dass andere Menschen ihre Wahrnehmungen immer wieder infrage stellen, führt dies bei vielen Kranken zu Misstrauen und Argwohn. Sie glauben dann z. B., andere Menschen wollten sie betrügen, hinters Licht führen oder würden sich gegen sie verschwören! Bezogen auf das Kommunikationsmodell bedeutet das: Der Kranke verliert zunehmend auch seine akzeptierende Haltung gegenüber seinem Kommunikationspartner, misstraut ihm, verliert also seine »Du-bist-o.k.-Haltung«!
Auch Angehörige können Demenz schwer akzeptieren
Doch nicht nur auf der Seite des Kranken geraten die tragenden Säulen der erfolgreichen Kommunikation – Akzeptanz und Selbstakzeptanz – ins Wanken, sondern auch auf meiner Seite, der Seite der Angehörigen, beginnen sie einzustürzen. Auch mir fällt es immer wieder schwer, den anderen mit all seinen Krankheitssymptomen zu akzeptieren.
wichtig
Was für den Demenzkranken gilt, gilt vielleicht auch für mich: Auch ich empfinde Scham angesichts der Tatsache, dass ein mir nahestehendes Familienmitglied zunehmend seine intellektuellen Fähigkeiten verliert. Denn auch ich bin geprägt von den Werten der Gesellschaft, in der ich lebe.
Vielleicht war er ja früher einmal sehr intelligent und geistig rege – und ich stolz auf ihn und seine geistigen Leistungen! Umso schwerer fällt es mir nun, seinen geistigen Abbau zu akzeptieren. Eventuell ist meine Scham sogar so groß, dass ich nicht einmal Hilfsangebote in Anspruch nehme, weil ich die Krankheit meines Familienmitglieds einfach nicht wahrhaben kann und außerdem nicht will, dass Nachbarn, Bekannte oder Verwandte etwas von der »Schande« mitbekommen könnten.
Manche Angehörige unterstellen Absicht und Mutwilligkeit
Die größten Verständigungsprobleme treten aber dann zwischen mir und dem Kranken auf, wenn ich nicht ausreichend über Demenzerkrankungen und ihre Folgen informiert bin. Dann vermute ich nämlich hinter vielen Störungen und Beeinträchtigungen des Kranken Absicht und Mutwilligkeit oder zumindest fehlende Disziplin, Sturheit oder gar Faulheit. Und dann drängen sich mir Gedanken auf, wie »wenn er sich doch mal ein bisschen zusammenreißen würde!« oder »wenn er nur wollte, könnte er auch!« – dannverliere also auch ich meine akzeptierende »Du-bist-o.k.-Haltung« dem Kranken gegenüber!
Dies bringt den Kranken in eine äußerst belastende Situation: Denn obwohl er seine Beeinträchtigungen und Störungen (die er möglicherweise noch selbst bemerkt, vielleicht aber auch schon nicht mehr) nicht beeinflussen und verändern kann, erfährt er gleichzeitig von mir Ablehnung, weil ich fälschlicherweise glaube, dass er sich nicht genügend bemühe.
Manche suchen die Schuld bei dem Kranken oder bei sich selbst!
Ähnlich bedrückend ist die Situation für den Kranken, wenn ich aufgrund von Unwissenheit der Meinung bin, er habe durch irgendein früheres Verhalten die Demenzerkrankung selbst
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