Alzheimer und Demenzen
Selbstbild nun zu verändern, muss ich die neuen kollidierenden Erlebnisse verstehen, muss ihre Bedeutung begreifen und muss diese Bedeutung als neues Wissen aufnehmen und mir merken können. Die Veränderung und Weiterentwicklung des eigenen Selbstbildes setzt also Gedächtnis- und Lernprozesse voraus.
Die Demenzerkrankung zerstört jedoch nicht nur die Fähigkeit des Kranken, das Selbstbild weiterzuentwickeln, sondern auch das viel grundlegendere Vermögen, sein altes Selbstbild überhaupt aufrechtzuerhalten. Und dieser Aspekt stellt für den Kranken die größte Bedrohung dar.
wichtig
Da beide Säulen der einsichtigen Selbstbildveränderung, nämlich Selbstwertgefühl und Fähigkeit zu Gedächtnis- und Lernprozessen, durch die Demenzerkrankung zunehmend angegriffen werden, bricht die Fähigkeit, sich selbst realistisch einzuschätzen und Einsicht in die eigenen Defizite und Auffälligkeiten zu haben, immer mehr weg. Für die Angehörigen bedeutet dies eine große Belastung.
Das Selbstbild beruht auf intaktem Gedächtnis
Das Selbst, auch als Identität bezeichnet, gründet auch auf den geistigen Fähigkeiten des Menschen, nämlich auf seinem Wissen. Wissen sammeln wir in jedem Moment unseres Lebens, indem wir Informationen aus der Umwelt aufnehmen, ihnen eine Bedeutung beimessen, und sie so »aufbewahren«, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt auf diese bewerteten Informationen zurückgreifen können. Die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen, sie zu bewerten, sie zu speichern und sie später wieder abzurufen, nennt man Gedächtnis.
WISSEN
Gedächtnisse spielen zusammen
Viele Informationen sind in mehreren Gedächtnissen gleichzeitig gespeichert: So ist ein bestimmtes Gedicht von Goethe vielleicht in meinem semantischen Langzeitgedächtnis gespeichert, doch auch in meinem episodischen Langzeitgedächtnis, weil ich mich vielleicht noch genau an die fürchterliche Situation erinnere, als ich das Gedicht in der Schule aufsagen musste. Semantisches und episodisches Gedächtnis sind also vielfach miteinander verwoben und verquickt.
Wozu dient das Kurzzeitgedächtnis?
Es gibt verschiedene »Gedächtnisse«: Eines von ihnen ist das Kurzzeitgedächtnis. Zum einen soll es diejenigen Informationen, die wir nur kurzfristig brauchen, so lange aufbewahren, bis sie nicht mehr wichtig sind und dann gelöscht werden können. Zum anderen hat es die Funktion, Informationen, die wir uns langfristig merken wollen, die also in das Langzeitgedächtnis übertragen werden sollen, so vorzubereiten und zu überarbeiten, dass sie überhaupt erst ins Langzeitgedächtnis übernommen werden können. Das Langzeitgedächtnis heißt so, weil es Informationen lange, d. h. auch lebenslang, speichern kann. Es wird wiederum unterteilt in ein episodisches Gedächtnis und ein semantisches Gedächtnis.
Wie funktioniert unser Gedächtnis?
Semantisches Langzeitgedächtnis: der Wissensspeicher
Das semantische Langzeitgedächtnis speichert unser Weltwissen: also etwa das Wissen, wo genau Spanien liegt, wer Goethe war, in welchem Jahr die Machtergreifung Hitlers stattfand, wie viele Beine ein Marienkäfer hat und welche gesunden Bestandteile in der Milch sind.
Episodisches Langzeitgedächtnis: das persönliche Tagebuch
Das episodische Langzeitgedächtnis speichert zeitlich geordnet und nach individueller Wichtigkeit, bewertet die persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen eines Menschen: Alle für ihn bedeutsamen Erlebnisse seiner Kindheit, seiner Jugend, seines jungen und älteren Erwachsenenlebens hält es fest und sortiert es auf einer Zeitskala.
Auf diesem gespeicherten Wissen beruht die Identität des Menschen oder genauer gesagt: Die Identität des Menschen beruht auf seinen episodischen Gedächtnisleistungen. Denn alles, was ich aus meinem »inneren Tagebuch« (wie das episodische Langzeitgedächtnis auch genannt wird) abrufen kann, macht einen wichtigen Teil meiner Identität aus – nämlich mein Selbstwissen: das Wissen um meine Lebensgeschichte, meine Kindheit, meine Vorlieben, meine Erfahrungen, meine Fähigkeiten, meine sozialen Rollen, meine Beziehungen, meine Eigenschaften usw. Verliere ich dieses Wissen von mir, dann verliere ich einen wesentlichen Teil meiner Identität!
Aber auch auf dem abrufbaren Weltwissen des semantischen Langzeitgedächtnisses beruht ein wichtiger Teil meines Selbst! Denn auch das, was ich von der Welt weiß, macht mich und meine Identität aus: Mein berufliches Wissen, meine Menschenkenntnis und mein Wissen
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