Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
Vom Netzwerk:
PROLOG
    D er namenlose Ritter in der roten Rüstung trieb den flügellosen Drachen voran. Es war ein schlanker, sandfarbener Drache mit unregelmäßigen schwarzen Flecken und langen, kräftigen Hinterbeinen, schneller und ausdauernder als jedes Pferd. Laut schlugen die breiten Tatzen auf die staubigen Pflastersteine der Straße, die schnurgerade auf das Kloster mit den zwölf Zinnoberzinnen zuführte.
    Der Helm des hageren Ritters – der geschworen hatte, seinen Namen erst dann wieder zu führen, wenn er den großen grauen Meerdrachen von seinen Flügeln befreit hatte – war hinter den Sattel geschnallt, zwischen Schwertscheide und Packtaschen. Das unrasierte Gesicht war voller Schweiß und Dreck, er wirkte angespannt.
    »Schneller!«, knurrte er und leckte sich über die ausgetrockneten Lippen. Er schmeckte Salz und Staub. »Gleich gibt es ja was zu trinken.«
    Die Sonne brannte vom Himmel, kein Lüftchen regte sich. Trotzdem beschleunigte der Drache noch einmal. Auch er hatte das massive Kloster entdeckt, dessen weiße Mauern weithin leuchteten, und hielt die Augen starr auf die weitläufige und verschachtelte Anlage gerichtet, die sich auf einer felsigen Anhöhe am Ufer des sanften Firnh erhob. Hechelnd stürmten sie immer weiter und achteten nicht darauf, wie erschöpft sie waren.
    Eine halbe Stunde später erreichten sie das Tor, das aufmerksame Wachen für sie geöffnet hatten. Zwei Ritter in
blinkenden Rüstungen grüßten vom Wehrgang herunter, die große Fahne mit dem Symbol des Sonnengottes Hellwah hing schlaff und reglos an der Stange auf dem Tor.
    Der rote Ritter sprengte in den Hof und zügelte den Drachen erst im Inneren des Klosters. Dort sprang er aus dem Sattel, zerrte ein kleines Päckchen aus der Satteltasche und gab dem Drachen einen Klaps auf die Seite. »Geh trinken, alter Junge. Hast du dir verdient.«
    Der Drache tapste hinüber zu dem riesigen, im Boden versenkten Marmortrog vor den hohen Ställen. Hier landete das Regenwasser der umliegenden Dächer, das in kupfernen Rinnen gefangen und über ein ausgeklügeltes Rohrsystem in den Trog geleitet wurde. Wobei Trog eigentlich eine irreführende Bezeichnung war – es war ein Becken von sicherlich dreißig Schritt Länge und vier Schritt Tiefe, durch das die Novizen am Ende ihres ersten Monats tauchen mussten, während alle Drachen zugleich getränkt wurden. Eine kleine Mutprobe unter den Ritteranwärtern, keine vom Abt gestellte Aufgabe. Im Moment dösten dort nur zwei Drachen und ein halbes Dutzend Pferde in der Sonne.
    Der Ritter verdrängte die Erinnerungen an seinen eigenen Tauchgang vor vielen Jahren, an die langen rauen Zungen, die einem Tauchenden neugierig und durstig über die bloße Haut leckten, und eilte auf die breite gewundene Treppe zu, die in den Haupttrakt des Klosters führte. Doch auf der untersten Stufe verharrte er überrascht. Oben an der steinernen Balustrade, direkt unter der leuchtenden goldenen Sonne über dem Eingang, stand der Hohe Abt; noch nie war dieser einem Boten entgegengekommen. Einen winzigen Augenblick lang zögerte der Ritter, dann erinnerte er sich der Etikette und neigte den Kopf. »Hoher Herr«, murmelte
er mit trockenem Mund. Er sprach den Namen Morlan nicht aus.
    »Hast du es?«, fragte der Abt, ohne die Begrüßung zu erwidern. Morlan war ein kleiner kräftiger Mann mit weißem Haar, großer Nase und eiskalten blauen Augen. Er trug die schlichte Tunika des Ritterordens, keine Rüstung, keine Kutte, und außer der goldenen Kette kein sichtbares Zeichen seiner Macht. Doch Hellwahs Segen lag auf ihm, er brauchte keine Insignien, die seinen Rang verkündeten. Jeder in seiner Nähe konnte die Kraft und Befehlsgewalt spüren, die ihm vom höchsten der Götter geschenkt worden war.
    »Es war nicht leicht, Hoher Herr«, sagte der rote Ritter und blickte zu Boden. Er schluckte. »Die Wahnsinnigen haben seinen ganzen Besitz verbrannt, und die Asche hat der Wind längst verweht. Doch sein Topf ist dem Feuer nicht zum Opfer gefallen, ich fand ihn verbeult, halb geschmolzen und rußverschmiert im Wald. Ich hoffe, die Flammen und irgendwelche Tiere haben ihn nicht gänzlich unbrauchbar gemacht. Im Fall der anderen beiden war es einfacher. Als fahrender Händler habe ich mich in das ketzerische Trollfurt eingeschlichen und ein Hemd seines Freundes mitgenommen und ein Kleid des Mädchens. Sie ist wohl wirklich freiwillig mit ihm gegangen, ihre verbitterte Mutter beschuldigt den toten Vater.«
    Ohne die geringste

Weitere Kostenlose Bücher