Alzheimer und Demenzen
Zustand des Nichtzusammenpassens, der in der Psychologie Inkongruenz genannt wird, führt sofort zu Anpassungsprozessen. Diese können in zwei verschiedenen Richtungen verlaufen: Im einen Fall versucht der Betreffende, das neue Erlebnis so umzuinterpretieren, dass es nun doch zu dem »alten« Selbstbild passt: »Die Straße war glatt, die Bremslichter des Vordermanns haben nicht funktioniert, die eigenen Bremsen haben blockiert« usw. Er kommt also zu dem Schluss, dass nicht seine Unaufmerksamkeit der Grund war, sondern äußere Umstände, die er nicht beeinflussen konnte. Oder aber er verdrängt diese Situation schnell, bezahlt den entstandenen Schaden, erzählt niemandem davon und versucht, die Sache zu vergessen.
Selbstbild anpassen.
Die andere Möglichkeit besteht darin, dass er das eigene Selbstbild ändert: »Manchmal scheine ich doch nicht mehr so konzentriert zu sein, wie ich das von früher von mir gewohnt bin!«
In beiden Fällen passen nun neues Erlebnis und Selbstbild wieder zusammen, doch es liegt auf der Hand, dass die zweite Alternative die vernünftigere zu sein scheint: Weil ein Mensch nur dann lern- und entwicklungsfähig ist, wenn er bereit und imstande ist, sein Selbstbild neuen Erfahrungen anzupassen. Erst wenn er einsieht, dass er unkonzentrierter fährt als früher, kann er für die Zukunft Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und somit verhindern, eines Tages einen schlimmeren Unfall zu verursachen.
Menschen, von denen wir sagen, sie seien offen und tolerant und lernfähig, neigen in einem solchen Konfliktfall zwischen neuen Erlebnissen und altem Selbstbild eher dazu, ihr Selbstbild zu verändern. Menschen, die eher unflexibel, starr und nicht lernfähig wirken, tendieren wahrscheinlich eher dazu, die neuen Erfahrungen zu ignorieren oder, wenn dies nicht geht, die neuen Erlebnisse so umzuinterpretieren, dass sie doch wieder in das alte Bild passen (siehe Beispiel).
Betroffene können ihr Selbstbild nicht korrigieren
Gerade demenzkranke Menschen tendieren im Verlauf ihrer Erkrankung zunehmend dazu, in dem beschriebenen Beispiel die erste Alternative zu wählen: Sie leugnen oder bagatellisieren eigene Fehler, »winden« sich um die Tatsachen herum und verdrängen Missgeschicke. Im Umgang mit diesen schwierigen Verhaltensweisen mache ich immer wieder die frustrierende Erfahrung, dass es überhaupt nichts bringt, den Kranken zu der besseren Alternative der Selbstbildänderung zu bewegen. Alle Versuche von »sieh doch ein …«, »akzeptiere doch endlich …«, »begreife doch, dass du …« führen zu Aggression, Angst, Wut oder Rückzug des Kranken, aber nicht zu der gewünschten Veränderung.
Sie erkennen die Defizite nicht
Um verstehen zu können, warum ein demenzkranker Mensch kein realistisches Bild von sich selbst, seinen Einbußen, Beeinträchtigungen und Problemen mehr entwickeln kann, ist es hilfreich, sich darüber klar zu werden, dass alle Erlebnisse, die mit dem eigenen Selbstbild kollidieren, grundsätzlich erst einmal als bedrohlich erlebt werden.
Diese bedrohliche, unsichere Situation kann aufgelöst werden, indem das Selbstbild verändert und an die neuen Erlebnisse angepasst wird. Doch dazu sind mindestens zwei Voraussetzungen erforderlich:
Die eine ist ein stabiles Selbstwertgefühl, und
die andere betrifft die geistigen Fähigkeiten wie das Erkennen von Fehlern.
wichtig
Denn das Gefühl »ich scheine doch nicht (mehr) der zu sein, der ich zu sein glaubte«, führt zunächst zu großer Verunsicherung. Alle Erlebnisse, die das Selbstbild von mir gefährden, erlebe ich als bedrohlich. Denn meine Identität ist der Fixpunkt, von dem aus ich die Welt ordne. Verliere ich ihn, bin ich orientierungslos.
Warum ist ein stabiles Selbstwertgefühl Voraussetzung für die Weiterentwicklung meines Selbstbildes? Nur wenn ich die tiefe Überzeugung habe, dass mein Selbst wertvoll ist und auch bleibt, d. h. dass ich wertvoll bin und auch bleibe, kann ich mich auf das Risiko einlassen und Teile meines Selbstbildes aufgeben. Nur wenn ich also glaube, dass der wichtigste wertvolle Teil meines Selbst übrig bleiben wird, kann ich Veränderungen meines Selbstbildes zulassen und mir z. B. eingestehen, dass ich nun doch nicht mehr ein so guter Autofahrer bin wie früher.
Und warum sind geistige Fähigkeiten Voraussetzung für die Weiterentwicklung des eigenen Selbstbildes? Weil mein Selbst auf meinem Wissen basiert, meinem Wissen von der Welt, meinem Wissen von meiner eigenenBiografie. Um mein
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