Alzheimer und Demenzen
mit sich. Viele Angehörige berichten auch, dass sie gestärkt aus dieser Lebensaufgabe hervorgehen. Gleichzeitig sind die Aufgaben, die ein solches Leben mit sich bringt, auf keinen Fall zu unterschätzen. Fehlende Freiräume und ständiges Eingebundensein sind zwei Beispiele dafür.
In der modernen Angehörigenforschung geht man mittlerweile davon aus, dass Angehörige, die ein Familienmitglied versorgen oder pflegen, nicht nur negative Empfindungen mit ihrer Situation verbinden, sondern teilweise auch positive Erfahrungen machen. So zeigen Untersuchungen, dass Angehörige davon berichten, eine Steigerung des eigenen Selbstwertgefühls und Persönlichkeitswachstum durch die Versorgung eines Familienmitglieds zu erleben. Auch das Gefühl, gebraucht zu werden, hinterlässt bei vielen pflegenden Angehörigen eine positive Empfindung. Andere berichten, dass es sie stolz und zufrieden mache, zum Wohlbefinden eines nahestehenden Menschen beitragen zu können, dass diese Zeit eine ihrer intensivsten Lebensphasen darstelle. Trotz solch möglicher positiver Aspekte berichten pflegende Angehörige Demenzkranker, dass das Gefühl psychischer und physischer Belastung dennoch oft zentral in ihrem Erleben sei.
Belastet durch neue Aufgaben
Da der Demenzkranke aufgrund seiner Beeinträchtigungen immer weniger Aktivitäten des täglichen Lebens ausüben kann, fallen mir als Angehörige zunehmend mehr Aufgaben zu. Handelt es sich hierbei um Aufgaben, mit denen ich mich zeitlebens noch nicht beschäftigt habe, kann dies durchaus eine Belastung oder gar Überforderung darstellen. Dies kann der Fall sein, wenn pflegende Männer lernen müssen, Essen zu kochen, Wäsche zu waschen oder die Wohnung sauber zu halten, oder Frauen sich erstmals mit der Organisation von Reparaturen im Haus und finanziellen Angelegenheiten beschäftigen müssen. Dies gilt umso mehr, wenn ich als Angehörige selbst schon älter bin, mich nicht mehr so leicht in neue Aufgabengebiete einarbeiten kann oder selbst durch Krankheit oder körperliche Probleme in meinem Handlungsspektrum eingeschränkt bin.
»Ich muss jetzt alles machen.«
Eine ältere Dame, die selbst schon 80 Jahre alt ist und ihren demenzkranken Mann zu Hause versorgt, berichtet, dass es ihr sehr schwerfällt, die vielen neuen Aufgaben, diesie jetzt übernehmen muss, zu erledigen: »Ich plane alles allein. Da beteiligt er sich überhaupt nicht mehr. Diesbezüglich ist er wie ein großes Kind. […] Ich muss jetzt auch alles Schriftliche erledigen. […] Wenn wir etwas planen, geht das von mir aus, im Gegensatz zu früher, als es von ihm ausging. Ich muss die Sache dann auch in die Hand nehmen. Mir fallen immer mehr Aufgaben zu! Ich muss alles im Kopf haben und könnte mich nicht mehr auf ihn verlassen!«
Belastet durch fehlende Freiräume
Als sehr belastend erleben Angehörige den Verlust der eigenen Freiräume, der im Rahmen der Versorgung und Betreuung eines Demenzkranken unweigerlich eintritt, wenn die Angehörigen als sog. »Hauptpflegepersonen« nicht durch andere Personen entlastet werden. Aufgrund der zunehmenden Unselbstständigkeit, Abhängigkeit und Ängstlichkeit können demenzkranke Menschen ab einem bestimmten Krankheitsstadium nicht mehr allein sein und brauchen fast rund um die Uhr Betreuung, Aufsicht und Versorgung. »Der 36-Stunden-Tag« heißt ein Buch der amerikanischen Autorin Nancy L. Mace, die hierin die große Beanspruchung beschreibt, die die Pflege eines Demenzkranken für die Angehörigen darstellt.
»Ich habe kein Privatleben mehr.«
Eine 60-jährige Frau, die mit ihrem Mann zusammen lebt und selbst schon im Ruhestand ist, berichtet, dass sie ihre demenzkranke Mutter zu sich geholt habe, als sie gemerkt habe, dass diese zu Hause nicht mehr alleine zurechtgekommen sei. Jetzt belastet sie das Fehlen von freier Zeit für sich selbst:
Sie ist ständig präsent.
»Die meisten Probleme habe ich damit, dass sie immer da ist. Sie ist ständig da. Seit mein Mann im Vorruhestand ist, könnten wir morgens aufstehen, wann wir wollen. Aber meine Mutter ist schon sehr früh auf. Und dann läuft sie herum und sucht mich. Dann läuft sie die Treppe rauf, die Treppe runter, die Treppe rauf, die Treppe runter, und dann stehe ich natürlich auf! Sie ist eben ständig da – ich habe im Prinzip kein Privatleben mehr. Ich kann nicht ins Bad oder in die Toilette gehen, ohne dass sie herein kommt. Auch wenn ich ihr sage, dass ich jetzt ins Bad gehe, mich wasche und anziehe, dauert es
Weitere Kostenlose Bücher