Alzheimer und Demenzen
möchte, obwohl er dies mit seiner Demenzerkrankung nicht mehr kann.
Appelle an die Einsicht des Kranken helfen kaum! Für Einsicht sind geistige Verarbeitungsschritte vonnöten, zu denen ein demenzkranker Mensch kaum mehr imstande ist. Wirksamer sind daher praktische Lösungen. Die Autorin Jennie Powell, die bereits auf den Seiten 134, 144 vorgestellt wurde, schlägt daher vor, pragmatisch zu handeln. Pragmatisch heißt, dass der Kranke tut, was er tun soll, bzw. unterlässt, was er unterlassen soll, ohne dass ich ihn zu überzeugen versuche oder mich auf Diskussionen einlasse.
Lenken Sie ab
Eine pragmatische Lösung ist z. B. das Ablenken. In der oben geschilderten Situation, in der der Demenzkranke unbedingt einen Brief schreiben will, könnte ich sagen: »Ach, du kannst doch deinen Brief morgen schreiben! Jetzt würde ich viel lieber noch ein Stündchen mit dir spazieren gehen!« Die Situation, in der der Kranke unbedingt mit dem Auto zum Einkaufen fahren möchte, könnte ich bewältigen, indem ich vorschlage: »Kannst du nicht später einkaufen? Ich wäre dir nämlich sehr dankbar, wenn du mir jetzt ein wenig beim Kochen hilfst!« Durch das Ablenken wird zwar die problematische Situation erst einmal nur verschoben, doch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Kranke durch diese Ablenkung vergisst, was er eigentlich wollte, sehr hoch.
wichtig
Wichtig ist in diesen Beispielen, dass der Grund für den Verzicht der beabsichtigten Beschäftigung »extern« sein muss, also nichts mit der Krankheit zu tun haben darf.
Andere Gründe vorschieben
Eine andere pragmatische Möglichkeit ist es, einen anderen Grund vorzuschieben, der gegen die geplante Tätigkeit des Kranken spricht. Gegen das beabsichtigte Briefschreiben könnte ich einwenden: »Ich glaube ja, Tante Irmi würde sich viel mehr über einen Anruf von Dir freuen. Da hört sie endlich Deine Stimme mal wieder.« Der geplanten Autofahrt könnte ich entgegen halten: »Ich finde, wir sollten nicht mehr so viel Auto fahren! Bei den Umweltverschmutzungen könnten wir so unseren Beitrag zur Schonung der Umweltleisten Zum Einkaufen könnten wir ja z. B. zusammen mit dem Bus fahren!«
Erledigen Sie es gemeinsam
Bei manchen Tätigkeiten, die der Kranke nicht mehr ausführen kann und dennoch immer wieder versucht, kann ich als Angehörige möglicherweise Hilfestellungen geben. Unter dem Vorwand, dass es gemeinsam doch viel schneller gehe und man so noch mehr Zeit für eine angenehme Unternehmung habe, kann ich dem Kranken anbieten, ihm die Tätigkeit abzunehmen, wenn er mir genau sage, wie er es haben will.
Anfänglich habe ich als Angehörige bei diesem pragmatischen Umgang mit dem Kranken vielleicht ein ungutes Gefühl. Ich fühle mich, als wäre ich unehrlich bzw. als würde ich meinen kranken Familienangehörigen belügen und betrügen. In diesem Fall ist es jedoch wichtig, mir immer wieder vor Augen zu halten, dass meine Absicht, die ich mit diesen pragmatischen Lösungen verfolge, ja nicht etwa darin besteht, den Kranken zu übervorteilen. Mein Ziel ist es doch vielmehr, einem Menschen Frustrationen und selbstwertkränkende Erlebnisse zu ersparen, die er nicht mehr verarbeiten könnte.
Ethische Bedenken
Doch trotz pragmatischer Tricks stehe ich nicht selten vor dem ethischen Problem, inwieweit ich überhaupt das Recht habe, in das Selbstbestimmungsrecht des Kranken einzugreifen und hinter seinem Rücken zu entscheiden, was gut und was nicht gut für ihn ist. Während einige Situationen leichter zu entscheiden sind, lasten andere schwer auf mir und lassen mich schwer an der Verantwortung tragen. So fällt es mir wahrscheinlich leichter, eine Tätigkeit des Kranken zu verhindern, mit der er auch andere Menschen gefährdet. Wie aber soll ich mich entscheiden, wenn er alleine das Haus verlassen möchte und die Möglichkeit besteht, dass er ohne fremde Hilfe nicht mehr nach Hause findet? Zwar gibt es für solche Fälle einige technische Hilfsmittel, die der Demenzkranke mit sich tragen kann, wie z. B. ein mobiles Telefon oder ein kleines Kärtchen, auf dem sein Name und seine Anschrift stehen. Doch auch diese Mittel können versagen.
Was für alle Problembereiche gilt, die im Zusammenhang mit einer Demenzerkrankung entstehen, gilt auch für diese Situationen: Es gibt kein Patentrezept, und die Lösungen hängen immer sehr stark von der Persönlichkeit des Kranken ab – und natürlich auch von meiner Persönlichkeit. Was mir bei meiner Entscheidung aber sicherlich
Weitere Kostenlose Bücher