Alzheimer und Demenzen
weg. Am Nachmittag hat sie mich nicht mehr erkannt. Dann wollte sie heim. Ich habe immer versucht, sie abzulenken. Habe ihr erzählt, dass sie mein Besuch sei. Dann haben wir Tee getrunken. Sie wurde unruhig und sagte, ihr Vater würde mit ihr schimpfen, wenn sie nicht heimkomme, bevor es dunkel wird. Ich habe ihr versichert, dass ich mit ihren Eltern sprechen würde. Ich habe mir immer was einfallen lassen, damit sie sitzen geblieben und wenigstens nicht zur Tür raus ist. Ich konnte ja die Tür nicht absperren, denn das hätte sie wahnsinnig gemacht, wenn sie eingesperrt gewesen wäre. Manchmal dachte sie auch, sie sei im Krankenhaus, und ich bin die Schwester, die für sie zuständig ist. Dann wollte sie wenigstens nicht weggehen.«
Trauern
Trauer wird oft mit Tod verbunden – dem körperlichen Ableben. Aber bei einer Demenz beginnt die Trauer schon viel früher. Noch zu seinen Lebzeiten verlieren sie Schritt für Schritt einen vertrauten Menschen, den sie ihr Leben lang geliebt und geschätzt haben, der ihr Partner war.
Unter Trauer versteht man die psychischen Reaktionen auf einen empfundenen Verlust, die sich nicht nur auf traurige Gefühle erstrecken, sondern oft auch auf eine Vielzahl von körperlichen Beschwerden und andere Störungen.
Angehörige demenzkranker Menschen müssen im Verlauf der Erkrankung viele Verluste des Kranken miterleben und viele eigene Abschiede bewältigen: So erleben sie mit, wie er Fähigkeiten und Eigenschaften verliert und müssen möglicherweise Abschied nehmen von ihrem alten Leben, von gemeinsamen Zukunftsplänen und Beschäftigungen, von lieb gewonnenen Charaktereigenschaften, von Normalität und Unbeschwertheit – letztendlich von einem nahe stehenden Menschen, von dem sie womöglich glaubten, ihn gut zu kennen. Es liegt somit auf der Hand, dass sie Trauernde sind. Tatsächlich zeigen viele von ihnen typische Trauerreaktionen, wie man sie in der Trauerforschung beschreibt: von gefühlsmäßigen Reaktionen wie Traurigkeit, Einsamkeit, Wut, Angst, über körperliche Symptome, wie Magenbeschwerden, Schmerzen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Muskelschwäche, Kurzatmigkeit bis hin zu Symptomen auf geistiger Ebene wie Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit und Wortfindungsproblemen.
Und dennoch zeigen die Erfahrung aus der Angehörigenarbeit, dass sich die meisten Angehörigen ihrer Trauer gar nicht bewusst sind, d. h. sie bringen ihre Symptome nicht in Verbindung mit den vielen Verlusten und kleinen Abschieden, die sie tagtäglich erleben. In diesem Fall spricht man in der Psychologie auch von »maskierter Trauer«.
Die Trauer, die ich als Angehörige durchlebe, ist zudem erschwert, als es sich bei der Demenzerkrankung meines Familienmitglieds oft um einen lang andauernden, schleichenden und »verdeckten« Verlust handelt: Während ein Todesfall unwiederbringlich und endgültig den Verlust eines geliebten Menschen bedeutet, kann eine Demenzerkrankung ein langwieriger Prozess sein, in dessen Verlauf ich den Betroffenen ganz allmählich verliere. Von diesem »früheren«, gesunden Menschen muss ich mich als Angehörige langsam, Schritt für Schritt, immer ein bisschen mehr verabschieden. In der Fachliteratur wird mein Erleben als Angehörige daher auch als »Abschied auf Raten« bzw. »partielle Trauer« bezeichnet.
»Sie sitzt neben mir und trotzdem vermisse ich sie.«
Wie unterschiedlich die Abschiede sind, die Angehörige Demenzkranker bewältigen müssen, zeigen die folgenden beiden Beispiele.
Im ersten Fall berichtet eine Tochter, die noch als Erwachsene sehr viel psychischen Rückhalt und Unterstützung von ihrer Mutter bekam, wie sehr sie die Sicherheit und Geborgenheit gebende Mutter vermisst, die ihre Mutter jetzt nicht mehr ist, seit ihre Demenzerkrankung in einem fortgeschrittenen Stadium ist:
Geborgenheit fehlt.
»Die Krankheit hat meine Mutter sehr verändert. Vor drei Wochen ist meine Großmutter gestorben – sie war gleich tot. Aber meine Mutter verliere ich langsam. Sie ist schon gar nicht mehr die, die sie einmal war. Wie sie jetzt da sitzt, so still, so hilfsbedürftig. Manchmal sitze ich neben ihr und spüre eine starke Sehnsucht nach meiner Mutter – sie ist da und nicht da – sie sitzt neben mir und trotzdem vermisse ich sie!«
Angst ist da.
Die folgende Frau leidet auch unter einem Verlust: Ihr Mann war früher ein positiv eingestellter, aktiver Mann gewesen, und das Paar hatte noch viele Pläne für ihre gemeinsame Zeit im Ruhestand.
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