Alzheimer und Demenzen
hilft, ist das Wissen um den Willen und die Persönlichkeit des Kranken: War der Kranke sein Leben lang sehr sicherheitsbedürftig und haben ihn unbekannte Situationen schnell geängstigt, dann wird es wahrscheinlich in seinem Sinne sein, in jedem Fall zu verhindern, dass er sich verläuft. Denn es ist anzunehmen, dass das Gefühl, nicht zu wissen, wo er ist und wie er nach Hause finden kann, ihn stark verängstigen und belasten würde. War er immer eher mutig, kann man ihn gehen lassen.
Ist der Kranke freiheitsliebend und risikofreudig gewesen und hat er Abhängigkeit und das Gefühl, kontrolliert zu werden, immer schon gefürchtet, könnte ich eher das Risiko in Kauf nehmen, dass sich der Kranke verläuft – weil ich annehme, dass es seinem früheren, »mutmaßlichen« Willen entspräche, seine Freiheit und Unabhängigkeit zu be wahren. Das Wissen um den früheren Willen des Kranken kann mir die Entscheidung erleichtern. Dieses Thema soll daher später (siehe → S. 182 ) eigens behandelt werden.
Sorgen Sie gut für sich selbst!
Für Angehörige ist es wichtig, auch die eigene Lebenssituation zu reflektieren: Was verändert die Demenzerkrankung? »Selbstklärung« nennt die Psychologie diesen heilsamen Schritt auf dem Weg der Krisenbewältigung.
Sich allein gelassen fühlen
Angehörige eines Menschen mit Demenz fühlen sich oft auf doppelte Weise allein gelassen: Zum einen vermissen sie den (Gesprächs-) Partner, den sie einst hatten. Zum anderen kommt es auch häufig vor, dass sich Freunde und Bekannte zurückziehen, weil sie nicht gut mit der Situation umgehen können.
Viele Angehörige fühlen sich zunehmend allein gelassen, isoliert und unverstanden. Weil sie niemanden (mehr) haben, dem sie sich mitteilen können, der ihre Wahrnehmungen bestätigt und Verständnis für sie hat, haben viele den Eindruck, selbst bald verrückt zu werden. Das Gefühl des Alleingelassen-Seins hat dabei viele Facetten.
Allein gelassen vom Demenzkranken
Wenn mein Familienangehöriger aufgrund seiner fortschreitenden Demenzerkrankung zunehmend die Fähigkeiten verliert, einen Gesprächspartner zu verstehen, eigene Gedanken zu äußern, Bedeutungen zu begreifen, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu fällen, steht er mir immer weniger als Partner zur Verfügung: Wenn ich Sorgen habe, finde ich in ihm keinen empathischen Zuhörer. Wenn ich nicht weiter weiß, ist er mir kein hilfreicher Ratgeber. Wenn wir eine Verabredung treffen, erinnert er sich wenig später nicht mehr daran. Wenn organisatorische Aufgaben erledigt werden müssen, kann er mich bei der Planung nicht unterstützen. All diese Erfahrungen hinterlassen in mir immer stärker das Gefühl, dass ich fast alles allein machen muss, und oft auch den schmerzlichen – teilweise auch wutauslösenden – Gedanken, dass mich der Kranke im Stich lässt.
»Wir reden nicht mehr viel miteinander«
Die unterschiedlichen Emotionen, die dieses Alleingelassen-Werden bei Angehörigen auslösen kann, zeigen die folgenden Beispiele:
Im ersten Beispiel berichtet eine Tochter, die bei ihrer demenzkranken Mutter eingezogen ist, um sie zu versorgen, wie sehr die eingeschränkte Kommunikation mit ihrer Mutter sie belastet:
»Und sie vergisst sofort, was gewesen ist. Gestern waren wir an einem ausgelassenen Weiher. Als wir wieder zu Hause waren, wollte ich noch einmal mit ihr darüber sprechen, doch da hatte sie schon wieder vergessen, dass wir weg waren, und wusste auch nichts von dem ausgelassenen Weiher. […] Es ist daher keine Unterhaltung möglich. […] Und das macht mich so fertig, dass ich keinen Ansprechpartner habe.«
Im zweiten Beispiel leidet eine Ehefrau sehr darunter, dass ihr demenzkranker Mann nicht mehr in der Lage ist, sich an der Organisation des gemeinsamen Alltags zu beteiligen. Oft ist sie deshalb traurig, aber hin und wieder spürt sie starken Ärger in sich aufkommen:
»Manchmal kommt diese Wut. Es ist manchmal so ein Gefühl, wenn ich eine Situation gemeistert habe. Dann kriege ich oft hinterher so eine Wut, weil ich mir sage, warum muss ich immer für uns zwei denken! Dann komme ich wieder zu dem Gedanken, dass die Wut zwar berechtigt ist, aber er genauso wenig dafür kann wie ich. Er kann nichts dafür!«
Das dritte Beispiel verdeutlicht, wie sehr Persönlichkeitsveränderungen des Demenzkranken ein starkes Gefühl des Alleingelassen-Werdens bei Angehörigen verursachen können. Hier berichtet eine Tochter von ihrem Gefühl, ihre Mutter schleichend
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