Alzheimer und Demenzen
keine Minute und schon ruft sie und kommt ins Bad. Ich bin keine Minute mehr allein.« Und eine andere 60-jährige Frau, deren Ehemann nach einer Herzoperation vor drei Jahren die ersten demenziellen Krankheitszeichen zeigte, hat nach einer aktuellen Untersuchung jetzt die Gewissheit, dass er unter einer beginnenden Alzheimer-Demenz leidet. Sie erzählt, dass das Zusammenleben mit ihm im Großen und Ganzen noch gut gelinge, doch bemerke sie schon jetzt schmerzlich, dass sie sich durch seine Krankheit angebunden fühle:
»Es ist nur so, dass ich mich nicht mehr frei fühle. Ich treffe mich zum Beispiel zweimal in der Woche mit früheren Geschäftskolleginnen oder Freundinnen. Wenn ich ihm dasnicht auf einen Zettel schreibe, dass ich da und da bin, dann ruft er meinen Sohn in der Firma an und fragt ihn, ob er wüsste, wo ich bin. Dann weiß er nicht mehr, wo ich bin und dann wird er panisch. Dann hat er irgendwie Angst, dass ich nicht mehr komme.«
Verstärkt wird die Belastung, die aufgrund fehlender Freiräume entsteht, wenn der Demenzkranke unter einer Störung des Tag-Nacht-Rhythmus leidet und nachts – teilweise mehrfach – aufsteht, weil er meint, es sei schon Morgen. Durch diese Beeinträchtigung erstreckt sich die Betreuung des Kranken auch auf die Nachtzeit, Angehörige kommen nicht zu ausreichend Schlaf, was häufig zur Entwicklung einer psychischen Überforderung des Angehörigen beiträgt. Denn dann steht er 24 Stunden unter Stress.
Belastet durch herausforderndes Verhalten
Manche Demenzkranke zeigen im Verlauf ihrer Erkrankung Verhaltensweisen, die der jeweiligen Situation unangemessen und unpassend sind und für das Umfeld eine echte Herausforderung darstellen, weil der Umgang mit ihnen so schwierig ist. Diese als »herausforderndes Verhalten« bezeichneten Verhaltensauffälligkeiten belasten Angehörige insbesondere dann sehr stark, wenn sie sich durch sie hilflos, beschämt oder gar bedroht fühlen. Denn so, wie sie den vertrauten Menschen nun sehen, kennen sie ihn nicht!
»Dann fühle ich mich völlig hilflos.«
Von der häuslichen Pflegesituation berichtet eine Frau, die ihre demenzkranke Mutter einige Jahre zu Hause betreut und versorgt hat. Auf die Frage, was für sie – im Nachhinein betrachtet – besonders belastend gewesen sei, beschreibt sie ihre eigene Hilflosigkeit angesichts der Verhaltensauffälligkeiten ihrer Mutter, die für sie, die Tochter, eine große Herausforderung waren:
»Ab irgendwann war sie immer voller Unruhe: immer dieses ziellose Herumlaufen, immer dieses Aufkratzen. Sie hat sich im Gesicht aufgekratzt, sie hat sich die Arme aufgekratzt und war immer unruhig. Und ich fühlte mich völlig hilflos!«
SIe kratzte sich alles auf.
Eine andere Frau thematisiert auch ihre eigenen Gefühlsreaktionen auf die Verhaltensveränderungen ihrer demenzkranken Mutter. In ihrem Erleben aber steht ein ausgeprägtes Schamgefühl im Zentrum, das sie angesichts des Verhaltens ihrer Mutter oft empfindet. So berichtet sie z. B., dass ihre Mutter, die früher eine auf gutes Benehmen und vornehme Zurückhaltung bedachte Frau war, sich jetzt häufig distanzlos zeige, indem sie fremden Menschen höchst private oder gar intime Dinge erzähle, bei Familienfeiern sei ihre ganze Sorge darauf gerichtet, genug Kuchen zugeteilt zu bekommen, und zunehmend andere Menschen verdächtige und beschul dige z. B. etwas zu klauen oder ihr Böses zu wollen.
Als große Herausforderung an ihre eigene Geduld und ihre Fähigkeit zu beruhigen und zu deeskalieren, erlebt eine Ehefrau die Verhaltensänderung ihres demenzkranken Ehemannes, durch die sie sich manchmal sogar bedroht fühlt: »Dann wurde er aggressiv und beleidigend. Plötzlich hat er mich angegriffen, was früher nicht der Fall war. Früher haben wir uns gut verstanden und immer alles miteinander besprochen. Jetzt sagt er, ich rede zu viel. Einmal hat er mich richtig beleidigt und sogar bedroht. Er hat mir vorgehalten, ich sei doch ein Niemand und ein Habenichts, und gesagt, ich solle einfach abhauen – er bräuchte mich jedenfalls nicht!«
»Dann fühle ich mich völlig hilflos.«
Die größte Herausforderung sei es für sie gewesen, berichtet eine 62-Jährige, als die demenzkranke Mutter, die bei ihr lebte, jeden Nachmittag eine illusionäre Verkennung entwickelte:
»Und dann hat sie mich nicht mehr erkannt. Das war dann ganz schwierig. Sie glaubte dann, wir beide wären zwei Alleinreisende. Ab nachmittags war ich, die Tochter, für sie immer
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