Am Abend des Mordes - Roman
Stadt zu wohnen. Er hatte einen Wohnsitz in der Straße Lilla Smedgränd und zwei Telefonnummern. Festnetz und Handy.
Mit Rücksicht auf die späte Stunde beschloss Gunnar Barbarotti, dass alles Weitere bis zum nächsten Morgen warten konnte. Er notierte sich die Angaben auf einem Zettel und kehrte ins Bett zurück.
Börje Granat wird mir schon nicht weglaufen, dachte er. Auch er nicht.
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»3.45,9«, sagte Asunander. »Sagt dir das was?«
»Hört sich an wie eine 1500-Meter-Zeit«, antwortete Barbarotti.
»Exakt«, bestätigte Asunander. »Ich bin nie schneller als drei Minuten fünfundvierzig gewesen, und das ist drei Sekunden schlechter als der legendäre Gunder Hägg. Allerdings habe ich die Laufschuhe auch schon an den Nagel gehängt, bevor ich einundzwanzig war.«
»Aha?«, sagte Barbarotti und dachte, jetzt ist er endgültig durchgedreht.
»Die achthundert Meter habe ich auch nie unter eine Minute fünfzig geschafft, aber ich war ein vielversprechendes Talent, ich möchte, dass du das weißt. Ein außerordentlich vielversprechendes Talent.«
»Das glaube ich dir gern«, erwiderte Barbarotti. »Aber ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass wir über diese Fälle sprechen wollten, mit denen ich mich beschäftigt habe, und aus welchem Grund du eigentlich wolltest, dass …«
»Dazu kommen wir gleich«, unterbrach Asunander ihn, »aber wenn es meine kurze Laufbahn als Leichtathlet nicht gegeben hätte, würden du und ich jetzt nicht hier sitzen.«
Barbarotti suchte einige Sekunden nach einer passenden Erwiderung, fand aber keine.
»Die Mittelstrecke«, fuhr Asunander unbekümmert fort, und sein Blick ging in unbestimmte Ferne. »Das blaue Band der Leichtathletik, wie sie auch genannt wird … nun ja, das bezieht sich im Übrigen ausschließlich auf die eintausendfünfhundert Meter. Jedenfalls legte ich mich als Junior mächtig ins Zeug. Trainierte hart und trat für meinen Heimatverein in Halmstad an. Dass ich so früh aufhörte, lag daran, dass ich Probleme mit den Knochenhäuten bekam. Mit den Knochenhäuten und den Knien. Sonst hätte ich mit Sicherheit weitergemacht.«
»Hm«, brachte Barbarotti heraus.
»Alles hat seine Zeit«, stellte Asunander fest und lehnte sich über den Schreibtisch. »Jedenfalls finden wir hier den Grund dafür, dass ich dich gebeten habe, dir die Fälle Morinder und Burma noch einmal anzuschauen. Vor allem Letzteren, aber ich konnte mich leider nicht deutlicher ausdrücken.«
»Nicht deutlicher?«, meinte Barbarotti. »In dem Punkt bin ich geneigt, dir zuzustimmen.«
Asunander schien nachzudenken. »Wie soll man es ausdrücken? Es geht um eine …«
»Ja?«, sagte Barbarotti.
»Hrrm«, räusperte sich Asunander. »Es handelt sich also um eine ganz und gar private Angelegenheit.«
»Das hatte ich mir fast gedacht«, sagte Barbarotti.
Asunander warf ihm einen langen Blick zu. »So, so, das hattest du?«, bemerkte er mit einem Hauch von Zweifel in der Stimme. »Aber egal, es geht jedenfalls um das Jahr 1968, das Jahr, in dem ich mich auch vom Wettkampfsport verabschiedete … allerdings erst später, nach dem Sommer. Ich war zwanzig, und wir hatten da so ein Austauschprogramm mit diesem ostdeutschen Sportverein. Dresden, bei Kriegsende die am stärksten zerbombte von allen deutschen Städten, aber in den Sechzigern hatte man zumindest die Leichtathletik wiederbelebt.«
Er hielt einen Moment inne und kontrollierte, ob Barbarotti ihm zuhörte. Barbarotti nickte.
»Wir hatten sie im Herbst ’67 besucht, und nun, im Mai 1968, kamen sie nach Halmstad. Training und kleinere Wettkämpfe und allgemeine Verbrüderung. Ich weiß nicht, wie es um deine Geschichtskenntnisse steht, aber der Mai 1968 war ein ziemlich ereignisreicher Monat. In Paris kam es praktisch zu einer Revolution, vielerorts Studentenaufläufe … nun ja, die Achtundsechziger, das ist ja so ein Begriff, den jeder aufgeschnappt haben sollte, auch wenn man nicht dabei war. Und dann kamen also diese jungen Leichtathleten und besuchten uns für zwei Wochen …«
Er machte wieder eine Pause und betrachtete Barbarotti, um eine erneute Bestätigung zu bekommen.
»Ich höre zu«, sagte Barbarotti. »Ich war acht, aber ich weiß durchaus, was damals los war. In groben Zügen zumindest.«
»Gut«, meinte Asunander. »Und dann verliebte ich mich.«
Barbarotti zwickte sich diskret in den Arm, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte.
»Sie hieß Regina. Sprint und Weitsprung, keine Mittelstrecken wie ich.
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