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Am Anfang war das Chaos

Am Anfang war das Chaos

Titel: Am Anfang war das Chaos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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tief treibenden Wolken und weit darüber eine graue Schicht, wie Nebel. Es gab keinen einzigen Sonnenstrahl – auch, hier nicht.
    Die Haryie, die hoch über den Gebäuden kreiste, schrie mit dünner Stimme zu ihnen herunter:
    »Es ist ein riesiges Gebiet. Einst muß es eine Burg oder ein Palast gewesen sein.«
    Die Augen der Rottenangehörigen richteten sich fast gleichzeitig nach oben. Sie suchten, ohne daß einer von ihnen das Wort gesagt hatte, nach dem schneeweißen Falken oder Adler. Aber sie sahen nur Sgnore, deren Aussehen ihnen lange bekannt und vertraut war. Sie kreiste ruhig; es schien keine Gefahren zu geben.
    Trotzdem schien diese große, uralte Anlage Geheimnisse und Schätze zu beherbergen. Direkt vor der Rotte stand ein fast unversehrter großer Torbogen. Regengüsse hatten das Gestein, in dessen Ritzen allerlei kleine Pflanzen und Moose wucherten, Gräser und auch große, stattliche Bäume, weißgewaschen. An einigen Stellen waren die Mauern von breiten Streifen Vogelkot bedeckt. Einst war das Portal von Torflügeln verschlossen gewesen, denn noch ragten die verrosteten Angeln aus den Pilastern.
    Ilfa wagte sich einige Dutzend Schritte vorwärts und fragte:
    »Warum ist es hinter dem Tor so dunkel, Vater?«
    »Ich weiß es nicht. Es sind die Pflanzen, nicht wahr, Santauta?«
    Der kleine Hanffarbige breitete die Arme aus.
    »Weiß ich’s?«
    Helmond zog das Schwert. Zwar sah er keinen Gegner, aber er wußte, daß er Ranken und Äste beseitigen mußte. Jeder Schritt, so sah es von hier aus, war ein gewaltsames Eindringen.
    »Hast du auch Visionen vom Weltuntergang?« fragte Caronj. Er folgte Ilfa. Rechts und links der Straße gab es nur niedriges Gebüsch voller feuerroter Beeren.
    »Nein. Du etwa?«
    »Ich schwitze nicht einmal.«
    Sie wagten sich weiter auf das Portal zu. Die Dunkelheit, die hinter den Säulen und dem halbrunden Bogen lauerte, nahm zu. In ihr verschwanden die Äste, die Lianen und alle anderen Teile der wuchernden Pflanzenflut. Der Zentaur sagte:
    »Es ist still hier. Viel zu ruhig nach meinen Ahnungen.«
    »Das ist richtig«, sagte Tautason. »Selbst dort hinten gab es mehr Lärm und Bewegung.«
    Sie alle fieberten dem Augenblick entgegen, an dem sie mitten in dieser riesengroßen Anlage standen und in verstaubten Grüften und Sälen nach Schätzen suchten. Langsam gingen sie weiter. Ihre Blicke tasteten die leeren Öffnungen ab, die sie mit grünen Gewächsen ebenfalls anzustarren schienen. Jeder von ihnen, auch Sgnore, die herunterflatterte und sich auf die Steinplatten setzte, dachte daran: Hier gab es kein Leben. Alles war tot. Es gab nicht einmal die schwarzen Aasfresser, von denen die Haryie angegriffen worden war.
    Helmond, zwanzig Schritt vor dem Tor, hob sein Schwert und deutete mit der Waffe geradeaus.
    »Worauf warten wir noch? Wollt ihr nur einen schönen Anblick oder Beute?«
    Sie würden mehr als einen halben Tag noch genug Licht haben. In einer Reihe bewegten sie sich vorwärts. Jeder hielt eine Waffe in der Hand, mit der sie sich einen Pfad durch Äste und Blattwerk schlagen würden. Ihre Schritte und die Atemzüge, noch mehr die Hufe des Zentauren, hallten unnatürlich laut. Ein Schauer packte sie, aber sie gingen weiter. Helmond und Ilfa waren die ersten, die das Portal erreichten. Es war zehn Mannslängen hoch.
    Helmond nickte Ilfa zu. Sie schwangen ihre Schwerter. Knisternd und knackend brachen die Äste, als die Schneiden der Waffen ins Holz fuhren. Äste schüttelten sich, Blätter schwebten herunter, und mit einem ersten Schwung bahnten sie sich einen Pfad, breit und hoch genug selbst für den Zentauren, von einem Bogenschuß Länge.
    Ein Bogenschuß, das waren etwa fünfundsiebzig Schritte. Sie hielten schwitzend und keuchend inne. Rechts von Ilfa zeichnete sich in der Flut der dunklen Blätter eine Öffnung ab.
    Ilfa huschte, das kurze Schwert in der Hand, durch dieses Loch. Er befand sich nach drei, vier Schritten in einem schlauchartigen und dunklen Gang. Unter Ilfas Schritten knirschten Blätter. Schalen von leeren Eiern – wohl von Vögeln, die einst hier genistet hatten – zerbrachen.
    Vor Ilfa gab es plötzlich ein scharrendes Geräusch. Dann hörte Ilfa ein scharfes Klicken, als ob Steine gegeneinander geschlagen würden. Und zwei Herzschläge später war ein schauerliches, langgezogenes Heulen zu hören, das Heulen eines Hundes, der den riesigen, bleichen Mond über sich sah.
    Ilfa hob das Schwert und stolperte durch den freien Durchlaß in den

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