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Am Anfang war das Chaos

Am Anfang war das Chaos

Titel: Am Anfang war das Chaos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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links.
    »Es ist zu dunkel geworden. Wir haben nichts gesehen. Dort, wo du den Wolf und den… Menschen gesehen hast«, führte Helmond, eine Spur unsicher geworden, aus, »und das ist ebenso wie das Geschwätz des Weibes vom Weltuntergang.«
    »Mag sein, Vater«, räumte Ilfa ein. »Aber ich meine, daß es wirklich so war. Vielleicht handelt es sich dabei, wie die anderen denken, um Zauberei und das Werk von Dämonen.«
    »Dämonen, Schmähmonen«, spottete Helmond. »Nur die Schärfe des Schwertes ist wichtig. Und ein unerschrockener Mut. Sonst ersticken wir an unserer eigenen Angst.«
    Ilfa senkte den Kopf und fragte nach einigen Atemzügen.
    »Was tun wir? Bleiben wir hier?«
    »Zu wenig Platz. Lagern wir draußen, vor dem Portal.«
    »Einverstanden.«
    Sie rafften ihre Ausrüstung an sich und tappten in der zunehmenden Dunkelheit durch den selbstgeschaffenen Pfad hinaus bis unmittelbar vor das geschwungene Portal.
    Schweigend erreichten sie den leeren Platz. Rasch waren Äste und Zweige herbeigeschafft. Aus dem Feuerstein zuckten Funken, der Schwamm glomm, und bald züngelten Flammen aus einem kleinen, hellen Feuer. Die sechs Überlebenden der Rotte lagerten sich um das Feuer und breitete ihre Decken und Mäntel und Habseligkeiten aus. Sie waren sicher, daß niemand sie in dieser Nacht überfallen würde.
    Nicht hier. Nicht heute.
    Ilfa aber, nicht müde genug, um einschlafen zu können, dachte an das Bild, das er zu sehen geglaubt hatte: der Fremde und der Wolf und das Licht. Ein Bild, das bisher nicht einmal in den Träumen gesehen ward. Nicht in Fieberträumen, nicht im Morgengrauen, wenn die Gedanken besonders frei schweiften.
    Ilfa blickte lange in die züngelnden Flammen, lauschte dem Knacken des brennenden Holzes, bis schließlich der Schlaf kam.
    In dieser Nacht gab es wirre, wilde Träume, von denen niemand mehr wußte, als es am nächsten Morgen heller wurde und der Tau fiel.

3.
    Caronj hob den Kopf, stemmte sich auf die Vorderfüße und blickte nacheinander seine Freunde an. Er, das Mischwesen zwischen Mann und Hengst, hatte die Ahnung eines gräßlichen Verhängnisses, das sich unhörbar und unsichtbar auf die zusammengeschmolzene Gruppe zuwälzte. Sie schliefen alle – noch schliefen sie.
    Helmond, der Listige, derjenige, der sie zu den Erfolgen geführt hatte, der Sucher nach Beute, mit dem zusammen sie lange Jahre der Abenteuer und des Wohlergehens verlebt hatten. Derjenige, dem ein Leben nichts galt, wenn glitzernde Beute winkte. Und Ilfa, der schmächtige Junge, der ebenso unscheinbar war wie Helmond, aber ebenso geschickt, zäh und schnell im Gebrauch von Gedanken, Körper und Waffen.
    Die zwei Mimesen. Caronj hatte sie niemals verstanden, hatte niemals ein besonderes Verhältnis zu ihnen gefunden. Sie waren klug, schnell, entschlossen und voller überraschender Eigenschaften. Sie waren der Rotte stets treu geblieben. Aber für ihn waren sie unglaublich fremd. Er war nicht ihr Freund; auch Helmond war es nicht, aber er schätzte ihre Fähigkeiten, mit deren Hilfe sie sich fast überall unsichtbar bewegen konnten, miteinander verbunden durch ein wortloses, blitzschnelles Verstehen. Waren sie wirklich Mann und Frau?
    Sgnore, die Haryie:
    Wäre sie eine Stute gewesen oder eine echte Frau, hätte er ihr unleidliches Wesen und ihre stets keifende Stimme in Kauf genommen. Aber sie war ein halber Raubvogel, zur anderen Hälfte eine Frau, und in Wirklichkeit nichts von beidem. Sie war wirklich nur als fliegender Späher und als rücksichtslose Kämpferin zu gebrauchen. Caronj, der wohl der Älteste in dieser geschrumpften Gruppe war, unterstellte Helmond, daß er genau dasselbe dachte.
    Und Ilfa? Ein merkwürdiger Mensch. Ein schmutziger Junge, schlank und manchmal rührend unbeholfen, aber liebenswert. Unglaublich, daß Helmond sein Vater war. Den Bogen führte Ilfa ebenso geschickt wie das Schwert, und die Art, sich zu bewegen, zu kämpfen und sich aller anderen Fähigkeiten zu bedienen, ohne lange nachzudenken, hatte er zweifellos von Helmond; er war wirklich der Vater des Jungen. Die Mutter hatte selbst Caronj niemals kennengelernt, und was Helmond von ihr zu berichten wußte, war dürr wie ein abgestorbener Aststumpf.
    Und er selbst. Caronj, der Hengster vom Stamm der Amariter?
    Seine Heimat hatte er lange schon vergessen. Alle die Freunde seiner Jugend – dahin, verloren, tot und vergessen. Auch er war – wie die anderen – ein Ausgestoßener, ein Vergessener seines Volkes.
    Unnennbares Leid

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