Am Anfang war das Ende (German Edition)
vom Gitter und legt sie auf ein Brett. Dann nimmt er das scharfe Messer und zerteilt jede in zwei Hälften. Der Fleischsaft sickert aus den Tieren und färbt das Brett hellbraun. Es riecht wundervoll.
»Eine Hälfte für jeden«, sagt er.
Die Kinder stürzen sich voller Eifer auf das Fleisch und sitzen bald auf der Treppe und futtern ihre Rattenhälften mit verschmierten Gesichtern. Es ist ihnen anzumerken, dass sie früher schon Ratten gegessen haben. Vermutlich haben sie das meiste gegessen, was überhaupt essbar ist.
Ich trete vor und strecke die Hand nach einer Hälfte aus. Als ich vorsichtig in das Fleisch beiße, spüre ich, wie zart es ist. Ich schließe die Augen und genieße den Geschmack. Habe ich jemals etwas so Leckeres gegessen?
»Das schmeckt fast besser als Brathähnchen«, sage ich.
»Was ist denn das?«, fragt Vendela.
»Etwas, was man früher gegessen hat«, erkläre ich.
•
Nachts haben wir keinen Wachtposten im Ausguck, weil man sowieso nichts sieht. Aber als wir auf der Treppe sitzen und an den Rattenknochen nagen, überlege ich, ob nicht doch jemand oben sein sollte. Ich glaube nämlich schon geraume Zeit, Geräusche aus dem Garten zu hören. Erst vermute ich, die Ratten hätten sich wieder heraufgewagt, doch dann sage ich mir, es muss etwas anderes sein. Es klingt eher wie Schritte und kommt auch nicht aus dem Teil des Gartens, in dem die Ratten hausen.
David und Gabriel schmieden mit Benjamin neue Pläne für die Rattenjagd. Ein paar Kinder spielen mit den abgenagten Knochen, die anderen sind auf der Treppe eingeschlafen. Diddi sitzt auf meinem Schoß und lutscht am Daumen.
»Psst!«, mache ich leise und nicke in Richtung der Hecke schräg hinter uns.
Alle verstummen. Wir sitzen ganz still und lauschen. Eine Zeitlang ist nichts zu hören. Doch dann kommt das Geräusch wieder. Ja, das sind Schritte, denke ich, Schritte von mehr als einem Menschen.
Die Schwarzen! Ich weiß nicht, was die anderen denken, aber Benjamin und David strecken die Hände nach ihren Bogen aus und stehen langsam auf. Gabriel deutet mit dem Kopf auf die Kinder und danach auf die Tür. Vendela ist schnell auf den Beinen und schiebt die Kinder in den Flur. Dann beginnt sie, die Schlafenden ins Haus zu tragen. Gabriel hilft ihr. Als Diddi lautlos aus meinen Armen gleitet und ins Haus huscht, drücke ich ihr einen Kuss auf die Wange.
David und Benjamin spähen in Richtung Hecke, die Bogen schussbereit in den Händen. Seit einer Weile ist es still, als hätten diejenigen, die sich dort draußen befinden, verstanden, dass wir sie gehört haben. Doch dann kommt das Geräusch wieder, näher diesmal. Das Geräusch von einem oder mehreren Menschen, die sich vorsichtig bewegen. Benjamin und David spannen ihre Bogen und zielen in die Richtung, aus der die Geräusche kommen. Ich schüttle den Kopf.
»Wartet!«, flüstere ich.
Irgendetwas sagt mir, dass es nicht die Schwarzen sein können. Die Schritte klingen doch nicht wie die von Menschen. Eher wie die von irgendwelchen Tieren. Und im selben Augenblick erklingt aus dem Garten ein
Uüöf
.
»Tüchtig!«, rufe ich aus. »Bist du das?!«
David und Benjamin senken die Bogen. Ich stürze hinaus, Tüchtig entgegen.
»Komm her, mein Schweinchen!«, rufe ich.
Ich höre, wie er auf mich zugelaufen kommt. Aber plötzlich werde ich unsicher. Irgendetwas stimmt da nicht. Ich höre zu viel Getrappel. Weiter komme ich nicht in meinen Überlegungen, denn als ich Tüchtig erblicke, begreife ich, was mich verwirrt hat. Hinter ihm kommt eine ganze Meute kleiner gestreifter Ferkel.
»Das gibt’s doch nicht!«, rufe ich aus. »Er hat Junge dabei!«
•
Als ich die kleinen Schweinchen sehe, die Tüchtig da im Schlepptau hat, wird mir ganz warm vor Glück. Ich knie nieder, um ihn ausgiebig zu begrüßen, und kraule ihn hinter den Ohren und an der Brust. Er grunzt vor Wohlbehagen.
Während ich ihn kraule, beobachte ich die Kleinen. Es sind sechs Stück. Sie scheinen Angst zu haben und bleiben auf Abstand.
»Deine Jungen sind wohl ein bisschen schüchtern, was?«, frage ich Tüchtig.
Als David und Benjamin zu mir herkommen, ziehen sich die Ferkel noch weiter zurück. Bald werden sie von der Dunkelheit verschluckt. Ich bilde mir ein, noch mehr Tierlaute zu hören.
»Das ist doch Doris dahinten, oder?«, sage ich zu Tüchtig. »Wollt ihr wieder in den Stall zurück?«
Ich drehe mich zu David um, der an meiner Seite kniet. »Ich versuch mal, sie in den Stall zu locken«, sage
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