Am Anfang war das Ende (German Edition)
vielleicht eingehen«, sage ich.
Gabriel schüttelt den Kopf.
»Wir müssen vorsichtig sein, Judit. Ich schlage vor, wir bleiben hier und machen kurze Expeditionen, um die Lage zu erkunden.«
»Kommt mir vernünftig vor«, bemerkt Dinah.
Ich lasse mich auf mein Lager sinken, liege eine Weile schweigend da und überlege.
»Was kann in dem Haus wohl passiert sein?«, sage ich schließlich.
»Irgendwas ist da verkehrt«, sagt Gabriel. »Das, was wir sehen, stimmt nicht.«
Ich nicke zustimmend. »Es ist total unlogisch«, sage ich. »Und trotzdem sehen wir es.«
»Aber das muss nicht bedeuten, dass es real ist«, sagt Gabriel. »Es kommt mir fast vor wie ein Film oder wie eine virtuelle Welt.«
Ich denke über seine Worte nach. So ähnlich habe ich es mir auch gedacht. Nämlich dass das, was wir im Haus gesehen haben, von irgendjemandem erfunden zu sein scheint.
XV
Als ich wieder aufwache, ist es unter dem Windschutz so heiß wie in einem Solarium. Die Sonne steht hoch am Himmel. Sie brennt mit gelbrotem Schein, wie eine Schweißflamme oder ein riesiges Feuerzeug. Meine Haut ist trocken wie altes Zeitungspapier, und meine Zunge fühlt sich an wie gebrauchtes Sandpapier. Wasser, denke ich, krabble zu den Wassersäcken und trinke die letzten Tropfen, die in dem einen noch übrig waren.
Als ich mich aufrichte, sehe ich, dass die anderen nicht mehr da sind. Nur noch die Lammfelle liegen in einem einzigen Durcheinander um mich herum. Mir ist übel, darum sinke ich wieder zurück und versuche, weiter in den Schatten hineinzurutschen, um der stechenden Sonne zu entkommen. In meinem Kopf brummt und summt es wie in einem Wespennest. Ohne recht zu verstehen, warum, fange ich zu weinen an. Die Tränen kommen schnell und unerwartet, wie ein plötzlicher Regen. Ich halte die Hände vors Gesicht und spüre, dass sie nass werden.
Nach einiger Zeit gelingt es mir, mich zu beherrschen. Ich lecke mir die salzigen Tränen von den Händen und erhebe mich mühsam. Das Rauschen in meinem Kopf nimmt zu, als ich stehe, doch ich versuche, es zu ignorieren und lieber ein paar der rotierenden Gedanken in meinem Kopf festzuhalten. Erst überlege ich, was für ein Tag heute sein könnte, sehe dann aber ein, dass das absolut keine Rolle spielt. Es gibt keine Tage mehr, nicht so wie früher. Wer hat sich diese Namen überhaupt ausgedacht? Und wer hat bestimmt, dass es ausgerechnet mit Montag anfangen soll und dass danach Dienstag kommt? Und dann Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Wie hat man es geschafft, dass all diese Tage so deutlich geworden sind und Wochen gebildet haben, die zu Monaten wurden, die im Laufe von Jahreszeiten wiederum zu Jahren heranreiften. Das war wie ein Wunder, wie ein magisches Uhrwerk, das von irgendetwas angetrieben wurde, vielleicht von uns selbst und unseren alltäglichen Gewohnheiten. Ich muss an Red Bull denken und seine Sprüche über den Alltag. Du hast recht gehabt, denke ich. Wenn du jetzt hier wärst, würde ich dich König Montag nennen, denn alles, was du so sehr gepriesen hast, scheint jetzt nicht mehr zu existieren.
Ich schiebe diese Gedanken weg, merke aber, dass sie etwas in mir geweckt haben. Es ist, als würde ich endlich aus einem Koma erwachen. Dieser zombieähnliche Zustand, in dem wir uns befinden, ist lebensgefährlich. Um Himmels willen, denke ich, wir müssen uns zusammenreißen! Wir müssen uns unbedingt einen Plan ausdenken!
Dann höre ich Schritte und sehe die anderen auf dem großen Wall auftauchen, jeder mit einem Armvoll Tang. Mein Magen dreht sich um. Nein, denke ich, nicht noch mehr Tang!
»Habt ihr irgendwas entdeckt?«, frage ich, als sie ihre Last vor mir auf einen Haufen werfen.
David schüttelt den Kopf und lockert seine Augenbinde. »Das Wasser ist jetzt ganz ruhig, aber es liegt eine Art Nebel darüber«, sagt er.
»Wir könnten doch abwechselnd auf dem Wall sitzen und Ausschau halten«, schlage ich vor. »Falls der Nebel sich auflöst.«
»Oder wir bauen etwas, das deutlich macht, dass es uns hier gibt«, meint Gabriel und wischt sich das Gesicht mit der Hand trocken. »Eine Art Zeichen.«
Ich nicke zustimmend.
»Hauptsache, wir tun was«, sage ich. »Wir können nicht nur einfach hier herumirren.«
»Also gut, bauen wir was«, sagt Dinah.
»Zuerst müssen wir nach Süßwasser suchen«, sage ich. »Irgendwo muss es welches geben. Dieses Schwein könnte sonst nicht überleben.«
»Es kam mir aber total ausgetrocknet vor«, bemerkt David.
»Ich finde, wir sollten
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