Am Anfang war das Ende (German Edition)
sein.«
»Heute Abend wird es gefangen!«, sagt Gabriel.
Wir versuchen eine Grube zu graben, doch das ist fast unmöglich, weil der Boden dort hart wie Stein ist und wir nichts Scharfes haben, um damit zu graben. Flache Steine und angeschwemmte Bretterreste taugen überhaupt nichts. David hackt fast eine Stunde lang mit einem scharfen Stein in den Boden, aber das einzige Ergebnis ist ein Erdhaufen, der in eine Kaffeetasse gepasst hätte.
»Scheißboden«, sagt er und wirft den Stein von sich.
»Vielleicht finden wir auf dem Hof einen Spaten«, schlage ich vor.
Bevor wir dorthin losziehen, beschließen wir, auf keinen Fall das Wohnhaus zu betreten und uns möglichst davon fernzuhalten. Mit dem, was darin vor sich geht, falls dort überhaupt etwas vor sich geht, wollen wir nichts zu tun haben. Darum schlüpfen wir an einer anderen Stelle als beim letzten Mal durch die Hecke und gehen hintereinander durch den unteren Teil des Gartens auf den Stall zu. David geht voraus. Plötzlich bedeutet er uns anzuhalten.
»Was ist?«, frage ich.
David bleibt eine Weile still stehen. Dann zuckt er die Schultern.
»Hab mir eingebildet, was zu hören«, erklärt er.
»Vom Haus her?«, fragt Dinah.
David schüttelt den Kopf. »Es kam von dort«, sagt er und deutet auf den Stall vor uns.
»Wir gehen rein und schauen nach«, sagt Gabriel. Er trägt die Filmkamera an einem Riemen über der Schulter.
Also drückt David den schweren Eisengriff nach unten und öffnet die Tür. Ein modriger Geruch schlägt uns entgegen. Ich habe mich so daran gewöhnt, dass hier gar nichts nach etwas riecht, dass ich total verblüfft bin.
»Merkt ihr das?«, frage ich. »Hier riecht‘s nach was.«
Wir bleiben in der Türöffnung stehen und schnuppern wie eine wachsame Herde. Ich ziehe den Geruch durch die Nase ein und schmecke daran. Der Geruch verwirrt mich. Er ist schwer und säuerlich, irgendwie alt. So hat es auf dem Dachboden von Oma und Opa gerochen. Aber hier kommt noch etwas dazu, etwas Kräftigeres sticht einem in die Nase. Fast wie alte Pisse, denke ich und muss plötzlich an diesen Sonntag denken, als ich klein war und Papa ins Stadion begleitete. Mama war bei Oma und Opa, weil Opa am Montagmorgen ins Krankenhaus musste. Aber Papa wollte um jeden Preis ein wichtiges Fußballspiel sehen. Es war Anfang Herbst. Die Sonne schien, die Luft war ganz klar und schmeckte frisch und stark, fast wie Opas Halsbonbons, die er mir manchmal anbot. Aber jetzt würde Opa operiert werden, ich wusste nicht, warum, aber ich merkte, dass Mama traurig war. Papa und ich saßen hoch oben auf einer Tribüne, ich bekam Würstchen und Limo. Papa trank Bier. Dem Spiel sah ich bloß am Anfang zu, als die Mannschaften einliefen. Danach krabbelte ich in unserer Reihe zwischen den vielen Knien der Leute herum, die dort saßen. Manchmal klopfte ich an ein Knie, weil es mir Platz machen sollte, das merkte zwar fast niemand, aber ab und zu sah doch jemand kurz zu mir herunter und lächelte. In den Pausen mussten die Papas runter und pinkeln, und die Schlange vor dem Herrenklo war mindestens so lang wie die vor dem Stadion. Ich begleitete Papa. Das Klo war ein großer dunkler Raum, wo eine Menge Papas standen und an die Wände pinkelten. Wir stellten uns hinter einen der fremden Papas. Schließlich kam meiner an die Reihe. Ich stand hinter ihm und wartete und hielt mich an seinem Hosenboden fest. Dann gingen wir hinaus an die frische Luft, und ich konnte wieder atmen. Aber den Gestank in diesem Klo werde ich nie vergessen. Es war das Widerlichste, was ich in meinem ganzen Leben gerochen hatte.
»Es riecht fast wie alte Pisse«, sage ich zögernd.
»Vielleicht gibt es da drin noch irgendwelche Tiere«, flüstert Dinah.
Vorsichtig treten wir in den Stall. Dort ist es dunkel, das Tageslicht wird sparsam durch die schmutzigen Fenster gesiebt. Dicke Schwaden aus Spinnweben und Staub hängen wie alte Vorhänge an den Wänden, vom Dach und in den leeren Boxen. Vielleicht hat es hier irgendwann mal Pferde gegeben. Ich gehe zu den Boxen hin, sehe die Tafeln an den Türen und streiche den Staub von der ersten Tafel.
Lady
, lese ich da.
Schnell stelle ich mich auf die Zehenspitzen und schaue in die Box. Sie ist leer. Keine Spur von Lady, kein Eimer mit Hafer und Möhren, kein Stroh auf dem Boden, keine Haufen aus runden Pferdeäpfeln. Nur noch mehr Vorhänge aus alten Spinnweben. Der starke Geruch scheint auch nicht von hier zu kommen, in den Boxen ist er nämlich weniger
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