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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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ein normaler Vogel«, sagen sie. Da setze ich mich auf den Rand einer Regenwolke und schmolle. Ein kleines Engelchen kommt zu mir her. Es hat den Daumen in den Mund gesteckt und hält seinen Stoffhund in der anderen Hand. »Liest du mir was vor?«, fragt es. Aber ich erkläre ihm geduldig, dass wir nicht in einem Buch sind. Da nickt das Engelchen nur. »Du hast einen Schutzengel gehabt«, sagt es. »Du bist nur scheintot.« Dann schubst es mich von der Wolke, und ich falle und falle, bis mein Magen sich im Drehschwindel zusammenzieht.
     
    Ich schlage die Augen auf und übergebe mich.

XXV
    Als ich mir mit dem Handrücken den Mund abwische, merke ich, dass ich in einem Bett liege. Vor Verblüffung erstarrt mein Körper wie im Krampf. Ich schließe die Augen. Liege lange Zeit ganz still und lausche. Es ist still. Das weiche Kissen an meiner Wange – es ist eine halbe Ewigkeit her, seit ich so etwas gefühlt habe. Aber ich höre keine Geräusche. Keine knarrende Treppe, keine raschen Mamaschritte, keine Fernsehstimmen, keinen gedämpften Gesang vom Kühlschrank, kein Alltagsbrummen und kein Sonntagssummen. Ich überlege, ob heute möglicherweise der kleine Dienstag sein könnte, doch selbst das dürfte nicht stimmen. Nicht einmal der kleine Dienstag ist so still. Da geht mir auf, was das bedeutet. Die Hoffnung, die mir durch den Kopf geschossen ist, als ich die warmen Betttücher auf der Haut fühlte, erlischt.
    Ich bin nicht zu Hause, nicht in meinem Bett.
    Es war kein Albtraum.
    Es geht weiter.
    Langsam öffne ich wieder die Augen. Es ist hell. Ich sehe Vögel. Rosa und hellblaue Vögel, die alle gleich sind. Als ich den Kopf vorsichtig drehe, sehe ich einen weißen Schreibtisch, einen roten Sitzsack, einen weißen Teppich. Ich liege in einem Zimmer. Im Zimmer der einen Zwillingsschwester, derjenigen, die Mimmi heißt. Teilweise bedecken die Bilder von Lady die Tapetenvögel an den Wänden.
    Dann schließe ich wieder die Augen und versuche nachzudenken. Das klappt nicht. Also schlage ich die Augen wieder auf. Die Vögel sind noch da. Und die blaugelben Siegesschleifen von Lady. Es ist so still, so ungeheuer still. Plötzlich erinnere ich mich daran, wie ich fiel und immer wieder fiel. Ich bin in ein schwarzes Loch gefallen und habe mir das Genick gebrochen. Dann passt alles zusammen, denke ich. Darum liege ich also hier im Bett, in diesem Haus, wo alle tot sind.
    •
    Erleichtert seufze ich auf. Wenn man weiß, was los ist, wird alles irgendwie einfacher. Wer hätte das gedacht, dass man in ein Haus auf dem Land kommt, wenn man gestorben ist. Wirklich erstaunlich! Mein Nacken schmerzt. Als meine Hand dorthin gelangt, begreifen die Finger, dass ich mich verletzt haben muss. Es tut schrecklich weh. Ich habe immer geglaubt, so etwas bleibt einem erspart, wenn man tot ist. Wahrscheinlich falle ich in einen kurzen Dämmerschlaf, denn als ich wieder zu mir komme, höre ich etwas. Rasche Mamafüße, die über einen Fußboden hasten. Dann höre ich die Treppe knarren. Eine Tür, die mit einem Seufzer aufgeht. Die Tür zu meinem Zimmer.
    •
    Erstaunt sehe ich, dass es Gun-Helen ist. Mir scheint, da ist etwas durcheinandergeraten. Ein bisschen mehr Ordnung, wenn man tot ist, hätte ich schon erwartet. Sie setzt sich vorsichtig auf die Bettkante, legt mir die Hand auf die Stirn.
    »Geht’s dir jetzt besser, mein Schatz?«
    »Du bist nicht meine Mutter«, sage ich.
    Gun-Helen lächelt. »So, bin ich das nicht?«
    »Wo sind meine Eltern?«
    »Die wirst du später treffen.«
    »Sind jetzt alle tot?«
    Gun-Helen wirft mir einen prüfenden Blick zu, sagt aber nichts.
    »Wo sind meine Freunde?«
    »Um die brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
    »Aber leben sie noch?«
    »Darüber später mehr.«
    »Und Tüchtig, mein Schwein?«
    Da lacht sie plötzlich. »Ach ja, dieses Schwein! Das sorgt für eine Menge Aufregung«, sagt sie.
    »Tüchtig ist ein sehr kluges Schwein«, sage ich.
    »Du verstehst das hier nicht so ganz, aber wenn du die anderen getroffen hast, wirst du es tun«, sagt Gun-Helen.
    »Die anderen, die auch tot sind?«
    »Die anderen vom Grünen Kreis.«
    Ich muss kurz überlegen, verstehe aber trotzdem nicht, was sie meint. Ich weiß noch, dass wir im Vogelnest den Grünen Kreis gegründet haben, begreife aber nicht, was das mit dieser Sache hier zu tun hat.
    »Ich glaube, ich muss mich ein bisschen ausruhen«, sage ich und schließe die Augen.
    •
    Als ich aufwache, glaube ich, Essensgeruch wahrzunehmen.

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