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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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daß ich ihn kenne, das heißt, ich kannte ihn. Ich kannte ihn, seit er nach Israel gekommen ist. Wir haben zusammen studiert, noch in Terra Santa. Er hat uns regelmäßig mindestens einmal in der Woche besucht, bis auf die letzten Jahre.«
    »Was war in den letzten Jahren passiert?« fragte Michael, und wieder bemerkte er, wie sich die vollen Lippen Kleins verzogen. Sie waren, entschied Michael, der ausdrucksvollste Teil seines Gesichts.
    »Schwer zu sagen«, sagte Klein langsam. »Aber ich denke, daß wir uns im Laufe der Zeit immer unterschiedlicher entwickelt haben. Er wurde extremer, und auch ich wurde, in gewisser Hinsicht, extremer, auf meine Art eben, und es gab auch alte Differenzen, die sich im Lauf der Jahre angestaut haben, wie man so sagt. Beschwerden von Studenten über Noten, die er gegeben hatte, als ich Vorsitzender der Abteilung war, Verpflichtungen, die er nicht eingehalten hat, Grundsatzdiskussionen bei Sitzungen – Diskussionen, die offenbar unsere persönliche Beziehung nicht berührten, aber es ist schwer, mit jemandem zusammen an einem Tisch zu sitzen und zu essen, wenn man ihm zuvor Sachen an den Kopf geworfen hat, die sein fanatisch verteidigtes ›Credo‹ in Frage stellen. Es gab nur wenig, bei dem wir einer Meinung waren, und eigentlich nehme ich an, daß Sie, hätten Sie uns beide gekannt, sich eher über die Tatsache einer Beziehung zwischen uns gewundert hätten als über ihr Nachlassen. Verstehen Sie: Es hat sich kein Drama abgespielt, es gab keinen Krieg, es wurde auch nichts abgebrochen, es war nur ein Schwächerwerden, ein Nachlassen. Er besuchte uns seltener, und wenn er kam, wußten wir oft nicht, worüber wir sprechen sollten.«
    Klein schwieg eine Weile, als sehe er das Bild vor sich. »Ofra, meine Frau, hat gesagt, er würde uns verachten, unser bürgerliches Leben, aber ich neige zu der Meinung, daß es andere Dinge waren. Ich zweifle nicht daran, daß sein Leben, seit er aufgehört hatte zu schreiben, leerer und leerer wurde. Man kann die verschiedensten Meinungen über Scha'ul hören, aber alle sind sich einig, daß er die Qualität eines Gedichts erkennen konnte, und niemand wird mir weismachen, daß er selbst seine letzten Gedichte, die politischen, für gut hielt. Er schätzte sie sicher richtig ein. Und wenn er nicht fähig war zu schreiben, was für eine Berechtigung hatte seine Existenz dann? Das heißt, ein Leben, wie er es führte, kinderlos, auf Vergnügen ausgerichtet, immer unbefriedigt? Was hatten wir vorzuweisen, außer daß wir ein Spiegel seiner Unfruchtbarkeit waren?«
    Michael fragte schnell: »Vielleicht hat er einfach andere Freunde gefunden? Wie die Familie Schaj, zum Beispiel?«
    Arie Klein wurde rot und schwieg. Dann senkte er die Augen und sagte: »Vielleicht, ich weiß es nicht.« Er hob den Blick. In seinen offenen Augen las Michael Verständnis und Schmerz, aber auch Abscheu, und er wußte nicht, ob das Scha'ul Tirosch galt oder der Beziehung Tiroschs zu Tuwja und Ruchama Schaj, vielleicht auch, dachte Michael, ihm selbst und seinen Fragen.
    Vom Schreibtisch kam ein beharrliches Summen. Klein schob einen Papierstapel zur Seite und nahm den Telefonhörer ab. »Einen Moment«, sagte er und hielt Michael den Apparat hin. Eli Bachars Stimme kam aus dem Hörer.
    »Kannst du reden?« fragte Bachar.
    »Ich höre«, antwortete Michael und erfuhr, daß der Gasbehälter in Tiroschs Schuppen nur Gas zum Kochen enthalten habe.
    Michael schaute zu Arie Klein, und für einen Moment trafen sich ihre Augen, dann wandte Klein den Kopf und betrachtete diskret die Wand gegenüber, wie um zu zeigen, daß er nicht zuhörte.
    »Okay. Was läuft sonst?« fragte Michael.
    »Wir schauen uns die Papiere an, die wir vom Har haZofim mitgenommen haben, Elfandari und ich. Wo Balilati ist, weiß ich nicht. Zila hilft uns bei den Papieren. Wir haben Schaj zum Detektor bestellt, er hat nichts dagegen gehabt. Kommst du von dort hierher?«
    »Weiß ich nicht«, sagte Michael, »aber ich rufe an. Wieviel Uhr ist es jetzt, halb drei? Ich melde mich gegen fünf.«
    Klein wirkte wie erschöpft von dem Eifer, mit dem er über Ido gesprochen hatte. Er lächelte, als Michael nach den Dichtern fragte, die Tirosch verletzt haben könnte.
    »Möchten Sie wissen, wie er mit Anfängern gearbeitet hat?« fragte er.
    »Ja. Wie ist das abgelaufen? Haben ihm Leute Manuskripte geschickt?«
    »Hunderte«, erwiderte Klein. »Er hat sich immer darüber beklagt, obwohl es ihm natürlich auch Spaß

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