Am Anfang war das Wort
er aus der tiefen Schublade zog, manchmal lächelte er, manchmal zog er erstaunt die Augenbrauen hoch. » Im allgemeinen«, sagte er zu Michael, »weiß ich genau, wo meine Sachen liegen, aber ich hatte, seit wir zurückgekommen sind, noch keine Zeit, das Zeug zu ordnen, nach allem, was passiert ist. Außerdem sind meine Frau und meine Töchter erst am Sabbatabend zurückgekommen. Aber ich erinnere mich, daß ich es gesehen habe, das Notizbuch, und ich weiß genau, daß ich es hier im Zimmer irgendwo hingelegt habe, nur wo das war, weiß ich nicht mehr.«
Es war drei Uhr nachmittags. Michael saß da und rauchte, während Klein die Telefonnummer des Rechtsanwaltes suchte, den Ido Duda'i in den Vereinigten Staaten getroffen hatte. Im Haus war es still. Michael lauschte, doch er hörte keine Stimmen, auch keine Musik.
»Ich wundere mich, daß sie ihre Gedichte nicht mir gezeigt hat, ich habe immer gedacht, ich stünde ihr so nahe«, sagte Klein und schaute von der Schreibtischschublade hoch. »Vielleicht weil sie wußte, daß ich sie schonen würde, daß ich sehr vorsichtig wäre mit Kritik.« Er suchte weiter.
Michael betrachtete die große Gestalt, sah, wie sich die Papiere auf den Bücherstapeln neben dem Tisch häuften, und dachte an die erste Reaktion Kleins auf die Gedichte, als er sie vor einer Stunde gesehen hatte, in seinem Zimmer im Migrasch ha-Russim, nachdem er Ja'el zum Taxi gebracht hatte. Er sah wieder das große Gesicht vor sich, rot und verschwitzt von der Hitze, als Klein die schwarze Mappe betrachtete, er sah die schwere Hand, die mit großer Zartheit in der Mappe blätterte, er erinnerte sich an die Grimasse, die er zog, als er die Gedichte hörbar auf die graue Eisenplatte des Tisches legte, auch an seinen ungeduldigen, um Erklärung bittenden Gesichtsausdruck. Jetzt, während er schweigend dasaß, rauchte und Klein bei der Suche zuschaute, ging Michael in Gedanken noch einmal das Gespräch durch, das vor einer Stunde in seinem Zimmer stattgefunden hatte.
»Kennen Sie diese Gedichte?« fragte Michael.
Klein blätterte noch einmal in der Mappe, schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, sollte ich dieses Zeug kennen?«
»Ich habe angenommen, sie hätte sie Ihnen gezeigt.«
»Wer? «
»Ja'el Eisenstein, sie ist die Verfasserin.«
Klein schaute ihn ungläubig an, dann griff er wieder nach den Gedichten. Zum Schluß hob er wieder den Kopf. Er sah gekränkt und verwirrt aus. »Sind Sie sicher?« fragte er, während er sich mit dem Handrücken über das Gesicht wischte, einen Schluck aus dem Plastikbecher mit Wasser nahm, den Michael vor ihn hingestellt hatte. Er schaute ihn traurig an.
»Ich habe sie für begabter gehalten«, sagte Michael.
»Sie ist begabt, sehr sogar«, sagte Klein nachdrücklich. »Sie ist ernsthaft, gründlich, hat Intuition und Geschmack, und sie ist sehr klug.«
»Wenn das stimmt, wie kann man das da erklären?« fragte Michael zweifelnd.
Klein stellte den Becher auf den Tisch, ein paar Tropfen Wasser spritzten heraus, und antwortete: »Was hat das damit zu tun? Sie ist für die Forschung begabt, aber nicht für das Schöpferische. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.«
»Ja, das habe ich verstanden, natürlich, das habe ich auch nicht gemeint.«
»Was haben Sie gemeint?« fragte Klein müde.
»Ich habe den Geschmack gemeint. Wie kann es sein, daß sie selbst nicht sieht, wie schlecht die Gedichte sind.«
Klein lächelte. »Das hat überhaupt nichts mit Begabung zu tun«, sagte er entschieden. »Ein Mensch kann den Wert der Dinge, die er macht, nicht beurteilen, erst aus einem gewissen Abstand, rückblickend. Und selbst das nur manchmal. Es gibt natürlich Ausnahmen von der Regel, aber im allgemeinen, besonders, wenn man schreibt, besonders beim ersten Mal, kann man es nicht wissen. Der Schöpfer versinkt in dem Geschaffenen, spricht aus tiefstem Herzen. Es braucht eine gewisse Distanz, um das eigene Werk einzuschätzen.« Er wischte sich über die Stirn. »Aber daraus kann man nichts folgern. Sie ist eine sehr begabte Wissenschaftlerin, und sie hat, wie wir alle, die Sehnsucht, etwas zu erschaffen.« Seine Stimme war immer leiser geworden, doch dann sprach er mit Begeisterung weiter: »Ich glaube, daß der Forscher seinen Platz in der Kunst ganz allgemein hat, und auf dem Gebiet der Literatur im besonderen, aber in jedem guten Forscher steckt auch insgeheim ein enttäuschter Künstler, das heißt, jeder gute Literaturforscher träumt von einem eigenen
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