Am Anfang war das Wort
Übertragung eines Gefühls von einem Bereich auf einen anderen. Ein wunderbares Beispiel für ein Gedicht, das auf Verschiebung basiert, finden Sie bei Ibn Gabirol. Sieh die Sonne. Kennen Sie es?«
Michael schluckte schnell ein Stück Käse hinunter, roch den Duft der griechischen Oliven und nickte.
»Sieh die Sonne am roten Abend
Als hätte sie sich rot verkleidet.
Sie breitet sich nach Süden, Norden
Und Wind vom Meer deckt Argamon
Und das verwaiste Land liegt nackt
Vom Schatten der Nacht bedeckt
Und dann wird der Himmel so dunkel
Als trage er Trauer um den Tod Jekutiels«,
sagte Michael in einem etwas spöttischen Ton.
Klein ging auf diesen Ton nicht ein, er sprach weiter: »Ibn Gabirol beschreibt den Sonnenuntergang als einen Prozeß, in dem die Welt verwaist, in dem die Sonne sie verläßt, und schließlich zeichnet er die Beziehung zwischen der Verwaisung der Welt und dem Unglück, von dem die Rede ist – das ist Verschiebung. Hier überhöht sie das Erlebnis des Sprechers ganz ungeheuerlich.«
Er aß genüßlich von dem Ei und häufte sich Salat auf den Teller. »So«, fuhr er fort, nachdem er die Gabel neben den Teller gelegt und sich vorgebeugt hatte, »sind die Dinge also ineinander verwoben. In jeder guten Metaphorik werden Sie irgendwie diese drei Elemente finden. Doch es muß ein zartes Gleichgewicht zwischen ihnen bestehen. Eine Metapher darf nicht zu weit von dem Objekt entfernt sein, das sie repräsentiert, wie zum Beispiel«, er hustete, »hmm ... ›die Wangen der Butter sind rot‹ oder ›der Winter ist stark‹ ... Möglicherweise findet man da eine gewisse Symbolik, aber es fällt mir schwer, sie zu entdecken, weil die Metapher zu offen ist, sie ermöglicht zu viele Assoziationen, in fast unbegrenzter Zahl.« Er stand auf, ging zur Anrichte, um Kaffee zu machen.
Die kleine Kaffeemühle machte einen schrecklichen Lärm, er sprach erst weiter, nachdem er das Produkt des Mahlens geprüft hatte. »Wenn man also eine Metapher oder ein Symbol benutzt, so muß es originell und neu sein, damit es dem Leser das, was er kennt, in einem neuen, anderen Licht zeigt. Schließlich«, er schwenkte die kleine kupferne Stielkanne, »sind die Themen, die den Künstler beschäftigen, immer die gleichen wenigen Themen, die sich stets wiederholen. Haben Sie sich einmal gefragt, um was es bei Kunstwerken geht? Um Liebe, Sexualität, Tod, um den Sinn des Lebens und um den Kampf des Menschen mit seinem Schicksal, mit der Gesellschaft, sein Verhältnis zur Natur und zu Gott. Was noch?«
Jetzt hielt er eine kleine Tasse in der Hand, mit deren Hilfe er Wasser in die Stielkanne goß. Vorsichtig kippte er einige Löffel gemahlenen Kaffee und Zucker hinein und stellte sie dann aufs Gas. Wieder stand er mit dem Rücken zu Michael, während er rührte.
»Die Größe der Kunst«, sagte er, »steckt in der Möglichkeit, das, was allen Menschen gemeinsam ist, neu zu beurteilen, aus einem anderen Blickwinkel heraus. Wenn ein Künstler Symbole schafft, die zu weit vom Thema entfernt sind, wenn seine Metaphern zu ›offen‹ sind, dann kann der Prozeß, den ich beschrieben habe, nicht stattfinden, dann ist die Metapher zu banal. Ich spreche von der Banalität von Metaphern, aber ich meine auch Analogien, Reime, Syntax, Zeilenumbruch und alles, was ein Gedicht ausmacht. Das Wort ›Begabung‹ bedeutet eigentlich die Fähigkeit, das zarte Gleichgewicht zu schaffen, das so selten ist, zwischen dem Originellen und dem Allgemeinen, dem Verborgenen und dem Offenen, dem Symbol und dem Objekt, das man symbolisieren will.«
Mit einer schnellen Bewegung nahm Klein die Kanne vom Feuer und stellte sie auf die Marmorplatte. Dann kippte er Kaffee in zwei Mokkatäßchen aus weißem Porzellan mit Goldrand. »Die Metaphern, die Ja'el benutzt hat, sind wirklich erschreckend banal, sie sind ›zu‹, hätte Scha'ul gesagt und damit gemeint, daß sie keinen Raum für eigene Vorstellungen lassen, fürAssoziationen. Nicht nur, weil sie zu abgegriffen sind, sondern weil ihnen das Dialogische fehlt, das zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten sein muß. Amichais Gedichte zum Beispiel basieren genau auf diesem Zusammenspiel von Konkretem und Abstraktem. Denken Sie mal an einen Satz wie ›An einem Ort, an dem wir recht haben, werden nie Blumen im Frühling blühen‹. Oder, wenn Sie ein Beispiel für den kontrapunktischen Gebrauch von Konkretem und Abstraktem wollen, nehmen Sie die Gedichte von Dan Pagis, einen Satz wie
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