Am Anfang war das Wort
Sowjetunion gegangen sind, jeder Fall ist eine eigene Geschichte. Fast alle haben es bereut. Diese Frau nahm ihren Sohn mit, und sie lebten einige Jahre in Moskau. Als der Junge achtzehn war, beschloß er, zusammen mit zwei gleichaltrigen Freunden, zurück nach Israel zu gehen. Das war nicht ganz legal, wie Sie wissen. (Ein tiefer Atemzug.) Sie waren zu dritt. Anatoli Ferber, für den Sie sich so sehr interessieren, er ist vielleicht die Hauptfigur Ihrer Geschichte, er hatte bereits eine hebräische Erziehung, was vielleicht seine Sehnsucht erklärt, nach Israel zurückzukehren, jedoch nicht den Einfluß, den er auf seinen Freund Boris hatte. Unser Freund Boris ist mein Held, fast fünfunddreißig Jahre saß er in sowjetischen Gefängnissen, und es ist ein Wunder, daß er am Leben geblieben ist, mal ganz abgesehen von seinem Zustand, seinem Herzen, der Diabetes, den Nieren und was sonst noch alles.
Boris war der zweite. Sie kamen bis Lebatomei, einer russischen Hafenstadt am Schwarzen Meer, sieben Kilometer von der Türkei entfernt. Bis dorthin haben sie es geschafft, und dann wurden sie geschnappt. Boris behauptet, daß der dritte junge Mann sie verraten hat. Jemand mit Namen Duchin. Und in den Nächten, wenn Boris vor Fieber glühte, auch als er schon bei mir im Haus war, sprach er dauernd über Duchin. Dabei hat er noch nicht mal versucht, ihn nach seiner Befreiung ausfindig zu machen. Da verstehe einer die Menschen.
Sie saßen sieben Jahre zusammen, Ihr Anatoli und mein Boris, zuerst drei Jahre in Lubyanka, einem Gefängnis in Moskau, zwei Jahre im Gefängnis Perm in Mordavia, danach noch zwei Jahre in Magadan, im Nordosten Sibiriens, einem Arbeitslager, was auf russisch katorga heißt. Dort mußten die Leute unbedingten Gehorsam zeigen und wie die Tiere arbeiten, und ich kann Ihnen das Leiden nicht beschreiben, weil es so etwas nicht gibt. Vielleicht haben Sie Solschenizyn gelesen, was er in Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch schreibt, oder im Archipel Gulag. Das Arbeitslager, das er im Archipel Gulag beschreibt, ist eigentlich Magadan, aber die Einzelheiten sind jetzt vielleicht nicht so wichtig. Dort in Magadan jedenfalls ist Anatoli Ferber gestorben. An was er gestorben ist? An Lungenentzündung. Glauben Sie mir, es war dort kein Problem, an Lungenentzündung zu sterben, bei dem Hunger und der Arbeit und der lächerlichen medizinischen Betreuung, die sie erhielten. Es gab schon Antibiotika in der Welt. Aber dort nicht. Das war eines der Dinge, für die ich die ganzen Jahre über gekämpft habe, nicht nur dafür, daß man sie herausließ, sondern daß man sie überhaupt leben ließ. Man kann nicht sagen, daß Anatoli Ferber ein richtiger Dissident gewesen wäre. Er wollte einfach nach Israel. Aber im Arbeitslager wurde er vermutlich zu einem Dissidenten, weil man sie anfangs zu fünf Jahren verurteilt hatte, dann bekamen sie noch mal fünf Jahre – das war die Zeit, in der Ferber starb –, nach Paragraph 10/58. Das war ein sehr wichtiger Paragraph: antisowjetische Propaganda. Jeder konnte entscheiden, wann es sich um antisowjetische Propaganda handelte. Das ist die Geschichte. Mein Boris wurde dann ins Gefängnis Botriski in Moskau gebracht, und dort war er noch mal fünf Jahre, anschließend kam er wieder nach Lubyanka. Weitere vier Jahre verbrachte er in Lefortowo, einem Gefängnis, ebenfalls in Moskau. Danach lebte er in einer Stadt in der Nähe von Moskau, er war ein Held und Mentor der jüngeren Dissidenten geworden. Schließlich gelang es mir vor kurzem, ihn herauszubekommen. Fragen Sie nicht wie, aber ich brachte ihn hierher, zu mir, und er ist die ganze Zeit in medizinischer Behandlung. Er möchte natürlich nach Israel, aber ich bezweifle, ob er in seinem Zustand überhaupt dort ankäme. Sein Englisch ist sehr dürftig, aber wir sprechen Jiddisch und ein bißchen Russisch miteinander, und mit dem jungen Mann, der vor sechs Wochen hier war, der, von dem Sie gesagt haben, daß er beim Tauchen umgekommen sei, hat er die ganze Nacht Hebräisch gesprochen.«
Michael saß in seinem Zimmer im Hotel und übersetzte die Aussagen des Rechtsanwalts von seinem Aufnahmegerät. Jetzt hörte er auf zu schreiben und lauschte seiner eigenen Stimme, die die Umstände von Idos Tod erläuterte. Der amerikanische Rechtsanwalt, Max Löwenthal, zeigte sich erregt über die Art, wie Duda'i gestorben war. Das Wort »devastating« war einige Male zu hören, und Michael schlug in dem Wörterbuch Englisch-Hebräisch
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