Am Anfang war das Wort
nach, das er mitgebracht hatte. »Verheerend« gab das Buch als Übersetzung an.
Er saß am Tisch in einem großen, geräumigen Zimmer, das in Braun und Weiß gehalten war, im Carolina Inn, nicht weit vom Campus und vom Krankenhaus. Es war ein Bau aus der Kolonialzeit, in der kleinen Universitätsstadt Chapel Hill. Man hatte ihn hierhergebracht, nachdem er Max Löwenthal und den kranken Boris Singer ihre Teilaussagen hatte unterschreiben lassen, vor zwei Polizisten, die Löwenthal als Zeugen zugezogen hatte. Löwenthal war Jurist, Michael mußte ihm nichts erklären, nachdem er betont hatte, wie wichtig es für ihn sei, Boris als Zeugen zu hören. Max Löwenthal hatte seine Zweifel geäußert, ob diese Erklärung vom Gericht zugelassen werden würde, weil die Polizisten kein Wort von dem verstanden hatten, was gesagt worden war. Was er, Löwenthal, gesagt hatte, konnten sie vielleicht verstehen, sagte er zweifelnd, wenigstens die Wörter, aber das biblische Hebräisch Singers würden sie vermutlich nicht verstanden haben, sagte er lachend. Das Band war zu Ende.
Michael Ochajon schaute durch das große Fenster hinaus auf die Straße. Die Stadt war vollkommen ruhig. In New York, klagte Schatz, höre man auch im zwölften Stock die ganze Nacht Autos und Lärm, während man hier nur die Grillen zirpen höre. In seinem Zimmer surrte die Klimaanlage. Michael öffnete das Fenster und atmete die feuchte, schwere Luft ein. Im Zimmer verbreitete sich der süße Duft von Magnolien. Der Ort sah wie ein riesiger Wald aus, in den da und dort ein paar Häuser und schmale Straßen gebaut worden waren. Michael konnte nicht einschlafen. Wenn er wieder in Israel wäre, beschloß er, würde er wegen seiner Schlafstörungen einen Arzt aufsuchen. Er setzte sich wieder auf und spielte immer wieder das Band ab, das er im Lauf des Tages aufgenommen hatte. Im Krankenhaus, bevor er das Zimmer betreten durfte, in dem Singer lag, hatte ihn Löwenthal immer wieder ermahnt, ja nicht zu fragen, wie die Gefängnisse gewesen seien, in denen er gesessen hatte, er müsse so feinfühlig und zurückhaltend sein wie nur möglich. Die jüdische Gemeinde in Charlotte, einer nahe gelegenen Stadt, beteilige sich an den Kosten für Singers Krankenhausaufenthalt, erklärte Löwenthal, deshalb könne er auch in einem Einzelzimmer liegen und bekomme die erforderliche ärztliche Betreuung. Der Mann sei innerlich völlig kaputt und sehe, obwohl es ihm jetzt schon besser gehe als am Anfang, uralt aus, sagte Löwenthal seufzend, obwohl er erst fünfundfünfzig sei.
Sein Zustand sei so schlecht, daß jede Aufregung eine Gefahr für ihn bedeute. Nach dem Gespräch mit Ido Duda'i habe er ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Während des Gesprächs habe er sich an seine schlimmsten Erlebnisse erinnern müssen, nach denen er, Löwenthal, nicht zu fragen gewagt habe.
Michael drehte das Band um und hörte wieder die lebhafte Stimme Löwenthals. Er sah das schmale, längliche Gesicht vor sich, den kleinen Mund. Was für ein weicher Mund, hatte er gedacht, als er ihn das erste Mal gesehen hatte, bis er immer größere Achtung vor der amerikanischen Naivität bekommen hatte, die ein derart aufreibendes Engagement erst ermöglichte. Löwenthal erzählte von seinen Aktionen ohne Prahlerei und ohne Bescheidenheit. Er sprach sachlich, brachte Fakten vor. Informationen. Schließlich habe er ein Buch darüber geschrieben, erinnerte er Michael. Er interessiere sich ganz besonders für das russische Judentum, sagte er begeistert, voll jugendlicher Energie. Bei uns, dachte Michael, findet man nur bei den Rechten eine ähnliche Begeisterung, und bei einigen Trotzkisten der avantgardistischen Bewegung.
Das Tonband war zu Ende, und Michael wollte sich noch einmal das Band anhören, das er bei seinem Zusammentreffen mit Boris Singer aufgenommen hatte. Er hörte das Knarren des Bettes, als Löwenthal sich auf den Rand setzte, als setze er sich neben seinen Vater, und dann hörte Michael die Stimme Löwenthals, der sich in fließendem Jiddisch an Boris wandte, gemischt mit amerikanischen Worten. »Woß?« hörte Michael das erste jiddische Wort, das er verstand, aus dem Mund des vertrockneten Mannes, der auf dem großen Bett saß. Auf dem Tisch neben dem Bett lagen Süßigkeiten, jiddische Zeitungen, eine hebräische Bibel. Auch ein Fernsehapparat und Blumensträuße standen darauf.
»Ich werde ihm erklären, daß Sie noch ein Literaturforscher sind, daß es eine neue Ausgabe von
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