Am Anfang war das Wort
sicher, daß Klein das wußte. »Es gibt nichts mehr, was ihm ähnlich sieht, Scha'ul, so wie ich ihn als lebendigen Menschen gekannt habe. Er ist noch nicht mal ein anderer Mensch, sondern nur ein anderes Ding. Das ist, glaube ich, auch der Grund, weshalb wir solche Angst haben.« Arie Klein drückte seine Zigarette in dem Stehaschenbecher aus. Michael hörte schweigend zu. »Ich meine damit, daß ich eben den Mann gesehen habe, den ich schon seit so vielen Jahren kenne, und jetzt ist er eine ekelhafte, stinkende Leiche, und kein Anzug und keine Nelke der Welt nützt ihm noch etwas. Dabei hatte er noch nicht mal ein Kind. Und mir gelingt es nicht, Trauer zu empfinden. Nur Angst, keine Trauer. Der Mensch ist auf sich selbst gestellt, und schlimmer als alles ist seine Angst vor dem Tod. Ich meine nicht das Ende des Lebens, ich meine die eigentliche Begegnung mit dem Tod.«
Michael brachte nicht die innere Kraft auf, die günstige Gelegenheit zu nutzen, um das zu erhalten, was im Fachjargon »Information aus erster Hand« genannt wurde. Er wollte den Zauber der Nähe und der Intimität erhalten, den Einklang mit dem großgewachsenen Mann, der in seinen Augen immer schon ausgesehen hatte wie einer der Gründerväter Israels.
»Ich nehme an«, fuhr Klein fort und stand auf, »daß jemand, der bei der Polizei arbeitet und öfter mit solchen Vorfällen konfrontiert ist, bestimmte Methoden hat, sich vor der Angst zu schützen.«
»Sie irren sich«, sagte Michael und erhob sich ebenfalls, »vor allem nicht in den erstenMinuten.« Sie waren gleich groß, und wieder trafen sich ihre Blicke. Michael nickte dem anderen zu, drückte seine Zigarette aus und kehrte in das Zimmer zurück, in dem die Leiche lag.
Und dann ging es sehr schnell. Michael sah, wie sie mit Maßbändern hantierten, er sah, wie sie sich Notizen machten, wie sie fotografierten und jeden Quadratzentimeter sorgfältig untersuchten. Der Polizeichef und seine Leute verließen schnell den Raum, eine Tragbahre wurde gebracht, die Leute von der Spurensicherung packten ihre Sachen zusammen, sammelten verschiedene Gegenstände und Unterlagen aus dem Büro in große Säcke, die Leiche wurde hinausgebracht, und die Polizisten machten sich hintereinander auf den Weg zum Rektor der Universität, der sein Zimmer im Gebäude der Geisteswissenschaften hatte. Sie gingen über enge, gewundene Treppen, die aussahen, als führten sie nirgendwohin, die einen aber trotzdem in ein anderes Stockwerk, in einen anderen Flügel des Gebäudes brachten, und Oberinspektor Ochajon unterdrückte das Lächeln, das, zu seinem eigenen Erstaunen, bei dem Gedanken in ihm aufstieg, daß sich dieser Ort für internationale Spionageaffären eignen würde, eine Assoziation, die ihn selbst verblüffte.
Wieder dachte er an den alten Campus des Giv'at Ram, er sah vor sich, wie sie an sonnigen Tagen auf dem Rasen gesessen hatten, erinnerte sich an die Minikleider, an die Beine Niras, seiner früheren Frau, und an seine Lust, sie an warmen Frühlingstagen zu streicheln, während sie nebeneinander auf dem Rasen lagen und lernten, eine Lust, die geradewegs zur Geburt Juvals geführt hatte. Er dachte oft an seine ersten Jahre auf der Universität, fast immer voller Sehnsucht nach den Rasenflächen vom Giv'at Ram, nach der Intimität der Gebäude. Er sah den Einband des Buches von Le Mont vor sich, mit dem sich alle Studenten der Geschichte auf ihre Examen vorbereiteten. Einige Ehen sind aus den Prüfungen zur Geschichte des Mittelalters entstanden, dachte er und fragte sich, ob auf diesem Campus, auf dem Har ha-Zofim, in diesen Häusern aus Stein und Marmor, in die die Sonne kaum hineindrang, ebenfalls Paare entstanden. Und dann die Cafeteria, dachte er, sie haben keine richtige, überfüllte Cafeteria, wie wir sie damals hatten, sie haben nur Plätze, wo sie Kaffee trinken können, luftig und unpersönlich, wie alles hier.
Ihm war heiß in den hellen, ausgebleichten Jeans, dem letzten sauberen Paar, das er im Schrank gefunden hatte. Er lauschte den schnellen, lauten Schritten der Männer, die vor ihm hergingen, unterschied deutlich den Klang seiner eigenen Schuhe, sah den Rücken Gils, des Polizeipressesprechers, der in seiner Khakiuniform ihm vorausging, mit blitzenden Abzeichen auf seinen Schulterklappen, und er sah, wie der Sicherheitsbeauftragte der Universität zwischen den anderen schwebte wie einer, der endlich seine wahre Bestimmung gefunden hat. Vor dem Zimmer des Verwaltungsdirektors, im
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