Am Anfang war das Wort
von Sach zitiert: ›Es ist nicht gut für den Menschen, allein zu sein, aber dennoch ist er allein.‹ Dann hat er mich gefragt, ob ich einmal über die Bedeutung dieser Worte nachgedacht hätte, so hat es angefangen. Und dann hat er nur über wirkliche Freunde gesprochen, und ich habe gedacht, wieso erzählst du mir das, was willst du von mir? Ich hatte das Gefühl, wenn ich mich auf das Gespräch einlassen würde, könnte mir etwas – Schreckliches passieren, als würde er mich, wie soll ich es sagen, in etwas hineinziehen. Ja. Er zog mich so sehr an, daß ich fast zu ihm hingegangen wäre, um ihn zu trösten, aber irgend etwas hat mich zurückgehalten. Ich fühlte, daß er nicht wirklich mich meinte, daß ich nur zufällig da war, schließlich wußte er ja nichts über mich.« Ihre Stimme klang fast entschuldigend. »Aber was mir am meisten angst machte, war seine Anziehungskraft, als müsse ich sein unendliches Leiden lindern und könne es nicht, als müsse ich alles geben und bekäme nichts zurück, weil er nichts hatte, was er mir geben konnte. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll.«
»Sie erklären es ganz ausgezeichnet«, sagte der Mann mit einem ernsthaften, ermutigenden Gesichtsausdruck, und Racheli wurde rot. Weil sie nicht zeigen wollte, wie wichtig ihr sein Kompliment war, fuhr sie schnell fort: »Dieser Vortrag über Einsamkeit hörte sich besonders seltsam an wegen der vielen Geschichten, die über ihn erzählt wurden.«
»Geschichten?« fragte der Mann und drückte seine Zigarette, die einen scharfen Geruch verbreitete, in dem Blechaschenbecher auf dem Tisch aus. Zugleich notierte er etwas auf einem Blatt Papier.
»Nun, es gab alle möglichen Geschichten«, sagte Racheli verlegen. »Gerüchte.«
»Welche zum Beispiel?« fragte er mit einer noch weicheren Stimme.
»Alle möglichen.« Wieder fühlte Racheli, wie sich ihre Kehle zusammenzog und wie ihre Füße in den Sandalen zu schwitzen begannen, aber der Mann ließ nicht locker. Er betrachtete sie mit einem Blick, der zu sagen schien: Du kannst mir vertrauen, ich will es wissen.
»Geschichten über ihn und über Frauen, über andere Dichter und über alle möglichen Leute.«
»Haben Sie wirklich geglaubt, daß er einsam ist?«
»Ja und nein. Vor allem dachte ich, das ist wie eine Szene aus einem Roman oder einem Film. Ich mag dieses leere Gerede nicht. Und daß er am Fenster stand, als hätte er sich genau den Blickwinkel ausgesucht, in dem sein Profil besonders vorteilhaft zur Geltung kommen mußte. Aber zugleich hatte es etwas Überzeugendes, ich habe ihm auch geglaubt, und das war es, was mich so erschreckt hat. So habe ich das alles damals nicht gedacht, erst jetzt formuliere ich das Gefühl.«
»Wer war Ihrer Meinung nach der Mensch, der ihm am nächsten stand?«
Wieder hatte Racheli das Gefühl, als weise er ihr eine besonders wichtige Rolle zu, als ob sie darum gebeten würde, ihm die Früchte ihrer langen und geduldigen Beobachtungen anzubieten. »Seine Beziehung zu Dr. Schaj gilt als besonders eng«, sagte sie zögernd.
»Aber?« fragte er und wartete geduldig.
»Aber ich kann Dr. Schajs Selbstverleugnung nicht ausstehen. Er hat ihn einfach angebetet. Und dann die Geschichte mit seiner Frau.«
»Mit seiner Frau?« fragte der Mann, und Racheli betrachtete seine braunen Arme und das weiße Hemd, und sie hatte das Gefühl, genau zu wissen, wie seine Haut riechen würde, ein sauberer Geruch. Sie merkte, daß sie rot wurde.
»Ruchama, die Frau von Dr. Schaj. Ich kenne sie kaum, ich habe sie nur ein paarmal gesehen und habe manchmal mit ihr telefoniert, aber trotzdem ...« Sie suchte nach den richtigen Worten, und schließlich sagte sie verlegen: »Alle haben darüber geredet, es war klar, daß sie zusammen waren.«
Die Worte paßten nicht zu dem Rhythmus, in dem sie eigentlich sprechen wollte, fließend und klar, über die seltsame Dreiecksbeziehung, über die die ganze Fakultät sprach, die Studenten, alle. Außer natürlich Adina, die nie ein Wort darüber verloren hatte.
»Zusammen?« wiederholte der Mann. »Sie meinen Ruchama Schaj und Professor Tirosch? Sie haben zusammengelebt?«
»Nicht direkt zusammengelebt, es war, als würden sie zu dritt zusammenleben. Nun, alle wußten es, und auch Dr. Schaj hat es meiner Meinung nach gewußt, jedenfalls glauben das auch viele andere. Und es geht schon seit Jahren so. Aber in der letzten Zeit ...« Racheli schaute ihn an und zögerte, ob sie weitersprechen solle. Er nickte,
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