Am Anfang war das Wort
als wolle er sagen: Ich bin ganz Ohr, und sie fuhr fort: »In der letzten Zeit hat sich etwas geändert.« Er schwieg.
»Sie hat ihn gesucht, und er war verschwunden, oder er hat uns gebeten zu sagen, er wäre nicht da. Auch anderen Leuten gegenüber. Das heißt, er hat nicht wörtlich gesagt, wir sollten es zu ihr sagen, aber ich habe gespürt, daß etwas zwischen ihnen nicht in Ordnung war, als würde er ihr ausweichen.«
Racheli merkte, daß sie nicht mehr aufhören konnte zu reden. Monatelang hatte sie die Leute beobachtet, über die schon seit Beginn ihres Studiums geredet wurde, und während der ganzen Zeit hatte sie kaum jemandem ihre Beobachtungen mitgeteilt, sie hatte sie für sich behalten, und nun spürte sie ein ungeheures Bedürfnis, ihm alles zu erzählen. Für einen Moment, eine Sekunde, sah sie sich selbst zu und traute ihren Ohren nicht. Sie fragte sich, ob dieser Drang zu sprechen ihrem Wunsch entsprang, diesem Mann näherzukommen, dem Mann, von dem sie wünschte, er möge sie berühren, möge sie anlächeln, ein Lächeln, das sie dazu brachte, weiterzusprechen, immer weiter, oder nur dem Gefühl, daß es da ein aufmerksames Ohr gab, einen Menschen, der sich für ihre Beobachtungen interessierte und ihre Fähigkeit, Details wahrzunehmen, zu schätzen wußte.
»Und warum glauben Sie, daß Dr. Schaj es wußte?«
»Alle glauben, daß er es wußte. Und außerdem war er Tirosch gegenüber so ergeben. Tuwja Schaj ist weder dumm noch blind, alle haben es gesehen, und er war ein paarmal im Zimmer, als seine Frau angerufen hat und mit Tirosch sprechen wollte. Die beiden haben überhaupt nicht versucht, die Sache zu verbergen. Es war irgendwie erschrekkend, ich habe nicht verstanden, warum er, Dr. Schaj, mit ihr zusammenblieb, warum er sich nicht hat scheiden lassen.«
Das Telefon klingelte, der Mann nahm den Hörer ab und sagte: »Ja?« Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Die Weichheit, die vorher dagewesen war, verschwand, er hörte angespannt zu und schrieb einige Worte auf das Blatt Papier, das vor ihm lag. Doch die ganze Zeit ließ er den Blick nicht von ihr. Etwas mutiger geworden, schaute sie ihn an. »Zwischen zwei und sechs?« sagte er mit einer anderen Stimme, die schärfer und härter klang. »Gut, ich rufe später noch einmal an.« Er legte den Hörer auf und steckte sich noch eine Zigarette an.
Dann fragte er nach Ido Duda'i, und Racheli sagte: »Er war ein sehr netter, angenehmer Mann. Sogar Adina hatte ihn gern. Aber er hatte alles ein bißchen ernst genommen, in beruflicher Hinsicht, ich meine, er hat nie irgendwas aus dem Ärmel geschüttelt, jedenfalls haben ihn alle geschätzt und gern gehabt.«
»Und Tirosch?«
»Was? Mit Ido? Ich glaube, er hat ihn auch geschätzt, er hat sich ihm gegenüber freundlich verhalten, aber auch ein bißchen spöttisch. Das heißt, nicht wirklich spöttisch, er hat nur manchmal einen kleinen Witz über seine Ernsthaftigkeit gemacht, darüber, daß er alles zweimal kontrolliert hat. Aber das war nicht böse gemeint gewesen.«
»Hat Tirosch getaucht?« .
»Was meinen Sie? Im Meer?« Racheli spürte, daß der Mann etwas wußte, was sie nicht wußte, daß er das Gespräch in eine andere Richtung lenkte. »Nein, wieso? Er hat immer über Sport gelacht und gesagt, das Leben sei zu kurz, um auch noch zu leiden. ›Nur Skifahren‹, hat er einmal gesagt, ›aber nur in der Schweiz, in den Alpen, nicht auf dem Hermon.‹ Aber ich kann ihn mir nicht auf Skiern vorstellen. Wenn Sie seine Anzüge gesehen hätten, er war kein Typ für Sport, obwohl er immer braungebrannt war. Er hat gesagt, er liebe das Meer, aber ich glaube nicht, daß er getaucht hat. Tauchen war ein Spleen von Ido.« Sie wagte nicht zu fragen, warum er das wissen wollte. Sie hatte das Gefühl, als ginge es um etwas anderes, was nicht zu dieser Sache gehörte.
»Und ist Ihnen außer der Veränderung mit Frau Schaj noch irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Racheli zögerte, bevor sie antwortete. Sie erinnerte sich an die Blässe und den müden Ausdruck auf Tiroschs Gesicht nach der Sitzung am Freitag, daran, daß sie zum ersten Mal Zeichen seines Alters an ihm entdeckt hatte: tiefe Falten in den Wangen, ein Gang, der nicht so leicht war wie früher.
»Sagen Sie alles«, sagte der Mann, »alles, was Ihnen einfällt, ohne groß zu überlegen.«
Racheli berichtete von den Veränderungen und schloß: »Am Mittwoch abend war ein Fakultätsseminar, und danach benahmen sich alle, als sei
Weitere Kostenlose Bücher