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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Wort.
    »Haben Sie das gewußt?« fragte Michael und merkte, daß er vor lauter Nervosität den Unterkiefer anspannte. Tuwja schüttelte den Kopf.
    »Und was empfinden Sie bei dieser Nachricht?« fragte er. Tuwja Schaj antwortete nicht.
    »Und interessiert es Sie nicht, die Einzelheiten dieses Mordes zu erfahren?«
    Tuwja Schaj senkte den Kopf.
    »Vielleicht wissen Sie ja bereits, wie Ido Duda'i umgebracht worden ist?« sagte Michael immer wütender. Er mußte sich zurückhalten, um den Mann nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln. Da hob Tuwja Schaj den Kopf und sah Michael zum ersten Mal direkt an.
    Hinter den dicken Brillengläsern sah Michael Tränen. Sie verschleierten den schrecklichen Ausdruck in Tuwja Schajs Augen nicht, als sähe dieser in Michaels Blick das Bild des toten Ido Duda'i vor sich, erstickt, so wie dieser in diesem Moment die am Strand ausgestreckte Leiche vor sich sah. Tuwja Schaj seufzte, sagte aber kein Wort. Dann wischte er sich mit einem dünnen, kraftlosen Finger die Tränen hinter den dicken Brillengläsern ab. Als Michael später die Aufnahme abhörte, stellte er fest, daß das Schweigen nur eine halbe Minute gedauert hatte. Doch in diesem Moment hatte er das Gefühl, als dauere es Stunden. Er wartete erfolglos. Tuwja Schaj tat nichts, die Stille zu unterbrechen.
    »Wenn ich es mir genau überlege«, sagte Michael schließlich, »so braucht man gar nichts über das Tauchen zu wissen, um Kohlenmonoxyd in die Flaschen zu füllen, in denen eigentlich nur Preßluft sein sollte. Kennen Sie sich mit chemischen Vorgängen aus?«
    Tuwja schüttelte den Kopf. Als er schließlich sprach, war seine Stimme krächzend und dünn. »Sie verstehen nicht. Ich habe Ido sehr gern gehabt.«
    »Gern gehabt«, wiederholte Michael. »Und Sie haben keine Ahnung, wer ihn nicht gern gehabt hat?«
    Wieder schüttelte Tuwja Schaj den Kopf, dann sagte er: »Ich weiß nicht, wer ihn ermordet hat.« Die Tränen waren aus seinen Augen verschwunden, er blickte wieder an Michaels Schultern vorbei zum Fenster.
    »Was hat sich genau beim Fakultätsseminar ereignet?« fragte Michael. Tuwja Schaj richtete sich auf, wieder blitzten seine Augen für einen Moment auf und erloschen dann. »Es war ein Seminar zum Thema ›Ein gutes Gedicht – ein schlechtes Gedicht‹, und Scha'ul Tirosch, Ido Duda'i und ich waren die Vortragenden.«
    »Und was ist da, passiert? War etwas Besonderes?«
     »Was meinen Sie mit ›passiert‹? Es war ein Fakultätsseminar, vielleicht sollte ich Ihnen erklären, was das ist?« Tuwjas Stimme wurde eine Spur lebhafter.
    Michael breitete die Hände aus, als wolle er sagen: Also los, doch dann sagte er – und innerlich war er wütend auf den kindlichen Trieb, der ihn dazu brachte –: »Nicht nötig, ich kenne das Institut, ich habe dort meine Abschlußprüfung gemacht, übrigens mit Auszeichnung.« In der Regel verzichtete er auf das, was er »narzißtische Befriedigung« nannte. Wenn er sich selbst darstellte, so tat er es im allgemeinen, um jemanden, den er verhörte, zu beeindrucken, manchmal, um Vorurteile gegenüber der Polizei abzubauen. Diesmal ertrug er es nur schwer, daß die Leute von der Universität ihm gegenüber eine gewisse Verachtung zeigten, obwohl es ihm klar war, daß er Tuwja Schaj mit seiner akademischen Vergangenheit nicht beeindrucken konnte.
    »Das Fakultätsseminar«, sagte Tuwja Schaj in dozierendem Ton, »ist ein Forum, auf dem theoretische Fragen behandelt werden. Jemand kann eine bislang unveröffentlichte Arbeit vortragen oder einen Teil seiner Dissertation, oder er kann sein Habilitationsprojekt vorstellen. Wir halten ungefähr einmal im Monat ein solches Seminar ab.« Michael konnte sich plötzlich vorstellen, wie er vor den Studenten stand, wie es ihm gelang, Interesse zu wecken oder sogar mit Leidenschaft zu reden.
    »Ich habe gehört, daß bei dem letzten Seminar am Mittwoch etwas Besonderes vorgefallen ist«, sagte Michael. »Das Fernsehen hat es sogar aufgezeichnet, nicht wahr?«
    Tuwja Schaj sah plötzlich erleichtert aus. Erst später, als Michael den Film gesehen hatte, verstand er, warum. Der rohe, ungeschnittene Film machte Tuwjas Erklärungen überflüssig. Als Michael den Film sah, spürte er zum ersten Mal eine mit Mitleid verbundene Zuneigung für Tuwja Schaj, nachdem er beim ersten Zusammentreffen, bei dem Verhör, das deutliche Gefühl empfunden hatte, diesen Mann nicht zu verstehen, und er sich noch nicht einmal sicher gewesen war, daß der

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