Am Anfang war das Wort
Ochajon, »ich rate Ihnen, die Fragen zu beantworten, wenn Sie nicht festgenommen werden wollen. Ich sage Ihnen, Sie hatten ein Motiv, Tirosch zu ermorden, und Sie hatten auch die Gelegenheit dazu. Sie haben keine Zeugen für Ihr Alibi. Sie sagen, Sie wären im Kino gewesen, Sie hätten sich auf der Straße herumgetrieben, Sie hätten niemanden getroffen. Es wird Zeit, daß Sie das Ganze ein bißchen ernster nehmen. Oder wollen Sie wirklich, daß ich Sie verhafte?«
Tuwja Schaj nickte, als wolle er sagen: Ich habe verstanden. Michael Ochajon wartete.
»Wie lange hat das Verhältnis zwischen Ihrer Frau und Scha'ul Tirosch gedauert?«
Tuwja Schaj sagte: »Ein paar Jahre. Mir wäre es lieber, wenn Sie nicht das Wort ›Verhältnis‹ benützten.«
»Und wann haben Sie davon erfahren?« fragte Michael und ignorierte den Einwurf, der ihn wütend machte. Er verstand nicht, warum er wütend wurde, doch er spürte genau, daß er den Mann, der ihm gegenübersaß, eigentlich nicht verstand.
»Ich glaube, schon ganz zu Anfang, auch wenn ich sie erst vor zwei Jahren wirklich zusammen gesehen habe.«
»Und was haben Sie diesbezüglich empfunden?«
»Meine Gefühle waren ziemlich kompliziert, aber sie haben nichts mit seinem Tod zu tun.«
»Und mit wem haben Sie darüber gesprochen?« fragte Michael.
»Ich habe mit niemandem darüber gesprochen.«
»Auch nicht mit Ihrer Frau?«
»Nein.«
»Und mit Tirosch?«
»Nein. Ich habe mit niemandem gesprochen. Das war eine Angelegenheit, die nur mich etwas anging.«
»Sie stimmen mir doch wohl zu«, sagte Michael und staunte über den förmlichen Ton, den das Verhör annahm, »daß solche Dinge normalerweise als äußerst belastend betrachtet werden, wenn ein Mord geschehen ist?«
Tuwja Schaj nickte.
»Dr. Schaj«, sagte Michael verzweifelt und hatte das Gefühl, er müsse einem Toten befehlen, aus dem Grab aufzustehen, »lieben Sie Ihre Frau?« Tuwja nickte, nicht zur Bestätigung, sondern als habe er die Frage verstanden.
»Diese Dinge sind etwas komplexer. Wir sind vermutlich nicht sehr konventionell«, sagte Tuwja, und Michael blickte ihn erstaunt an. In einem Moment, in dem er am wenigsten damit gerechnet hatte, bekam er freiwillig eine ausführliche Antwort.
»Ich erwarte nicht, daß Sie das verstehen. Meine Frau und ich haben nie darüber gesprochen, und Scha'ul hat nie ein Wort darüber verloren, aber wenn ich Polizist wäre, würde ich mich fragen: Warum sollte er ihn jetzt plötzlich ermordet haben, nach diesen ganzen Jahren?«
Diesmal schwieg Michael. Er betrachtete den Mann, der ihm gegenübersaß, und überlegte, daß Schaj in jedem Zeitungsartikel sicher als der Verlassene dargestellt würde, als armer Mann, der die »Situation« wohl oder übel akzeptieren mußte, doch er selbst spürte – hinter der Verzweiflung, hinter dem Schweigen – die Kraft dieses Mannes. Vergiß die Regeln, sagte er zu sich selbst, es gibt hier andere Gesetze, betrachte die Dinge von seinem Blickwinkel aus. Wenn er die Tatsache akzeptiert hat, daß seine Frau ein Verhältnis mit Scha'ul Tirosch hatte, welche Tatsache hätte er dann nicht akzeptiert? Was hätte ihn bis zu einem Mord treiben können?
Laut fragte er: »Dr. Schaj, Sie haben sicherlich gewußt, daß Tirosch auch besondere Beziehungen zu Ruth Duda'i gepflegt hat?«
Tuwja Schaj machte keinen Versuch, die Wut zu verbergen, die plötzlich in seine Augen trat, und antwortete: »Das habe ich nicht gewußt. Warum erzählen Sie mir das?«
»Ich erzähle es Ihnen«, sagte Michael Ochajon und wählte jedes Wort sorgfältig aus, »weil – wenn die Tatsache, daß Tirosch der Liebhaber Ihrer Frau war, Sie nicht dazu getrieben hat, ihn zu hassen – Sie es vielleicht nicht aushalten konnten, daß er sie verließ. Vielleicht war das für Sie ein Motiv, ihn umzubringen?«
»Und wer hat gesagt, daß er sie verließ?« fragte Tuwja Schaj und fuhr fort: »Scha'ul war in der Lage, mehrere Beziehungen nebeneinander zu haben.«
»Trotzdem sind Sie wütend«, stellte Michael fest und blickte Tuwja Schaj direkt in die Augen. Befriedigt stellte er fest, daß der verächtliche Ausdruck aus ihnen verschwunden war.
»Ja«, antwortete Tuwja Schaj, als wundere er sich selbst über seine Reaktion, »aber nicht wegen der Sache, die Sie angedeutet haben.«
»Vielleicht sagen Sie mir, was ich angedeutet habe?« Michael beugte sich vor und stützte sich auf den Tisch.
»Glauben Sie, daß ich mich so stark mit Ruchama identifiziert habe, daß
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