Am Anfang war die Nacht Musik
Patienten verlangten nach ihm.
Nicht gehen, sagt das Fräulein, als die Eltern sich verabschieden. Sie klammert sich an die Mutter. Deine Hände …, sagt sie leise, als die Mutter sich von ihr losmacht. Der Hofsekretär zieht seine Frau Richtung Kutsche.
Mach’s gut, Resi. Und freu dich. Bald wirst du nicht mehr alles so penetrant anfassen müssen.
Er winkt ihr.
Und Mesmer sieht den Hund an, der aufrecht vor der Tür sitzt. Mit gestrecktem Rücken, die Ohren gespitzt, blickt er den zweien nach. Als sei ihre Abreise nicht weniger spannend als ihre Ankunft.
Viertes Kapitel
24. Januar 1777
Wer früh kommt, findet ihn vor der Glasharmonika. Als Kaline die Tür öffnet, spielt er ein Stück von Gluck. Ein Stück unterbrechen tut weh. Er spielt und nimmt, ohne zu wollen, wahr, wer da in Kalines Gefolge alles zur Tür hereinkommt.
Ein aufgebauschtes Kleid, ein Haarturm und ein schwarzer Hund. Sein Hund.
Der Gedanke, dass Kaline ihre Aufgabe nicht erfüllt, mischt sich in sein Spielen. Kaline hätte diese Aufmachung verhindern müssen. Hätte vermitteln müssen. Von Frau zu Frau. Zur Sitzung beim Doktor nicht das Festkleid bitte. Eine Stunde werden sie ihn kosten, die Bänder, die Rüschen, die Locken.
Als der Hund ihn dann mit der Nase anstupst, kapituliert er. Bricht die Musik ab, streichelt über den Hundekopf, nickt fragend in Kalines Richtung und sieht sie achselzuckend zur Tür hinausstolzieren. Er nimmt das Fräulein in Empfang.
Sie sitzt aufrecht, die Hände vor der Brust gekreuzt wie etwas Geschlossenes, nein, etwas hinter sich selbst Verbarrikadiertes. Wie etwas, dem man sagen kann, was man will, und nichts dringt durch. Er probiert es trotzdem. Ein Satz, der sich als erster Satz bewährt hat.
Ob sie ihm ein bisschen erzählen wolle. Von sich.
Nichts.
Als der Hund zu ihr hingeht, sie mit der Schnauze stupst, zieht sie die Hände weg.
Ob sie den Hund nicht möge.
Nein, sagt sie.
Warum?
Sie möge Hunde allgemein nicht.
Dieser sei aber kein allgemeiner Hund, sagt er.
Was an ihm denn so unallgemein sei?
Er sei Nachkomme eines besonders klugen Hundes. Sein Vater, dieses kluge Tier, habe sich einst, Mesmer kam gerade aus der Apotheke am Neuen Markt, wo er Besorgungen gemacht hatte, plötzlich an seine Fersen geheftet. Zuerst habe er gedacht, der Hund verwechsle ihn. Er habe sich nach dem Besitzer umgesehen. Habe herumgefragt, wem der Hund gehöre. Keiner kannte ihn. Keiner hatte ihn je gesehen. Er habe versucht, den Hund zu verscheuchen. Vergeblich. Der Hund ließ sich nicht verscheuchen. Als er später in die Kutsche stieg, um hierher zurückzufahren, sei der Hund hinter der Kutsche hergerannt und zeitgleich mit ihm angekommen.
Ein alter Straßenköter also, sagt sie. In ihrer Familie nenne man so einen ekelhaft.
Er habe ihn nicht ins Haus gelassen. Mindestens eine Woche nicht. Habe ihm nichts zu fressen gegeben. Der Hund blieb trotzdem. Es war übrigens ein schwarzer Hund. Genau wie dieser, sein Sohn. Rabenschwarz. Allmählich habe er sich an den Hund gewöhnt. Dieses brave Tier versuchte immer, ihm alles recht zu machen. Folgte ihm wie ein wohlmeinender Schatten. Kein Leckerbissen seiner Frau konnte ihn weglocken. Das Einzige, was er nicht ertrug, waren geschlossene Räume. Nachts blieb er, gleichgültig wie kalt oder nass, draußen vor dem Haus. Dass er sich wohl bald darauf in eineHündin, die keiner bemerkt hatte bis dahin, die des Kutschers, verliebt habe, hat natürlich auch keiner bemerkt. So ist das mit dem, was keiner bemerkt. Es trägt die bemerkenswertesten Früchte. Nicht sofort. Irgendwann, wie aus heiterem Himmel. Als ich eines Tages wieder zur Apotheke fuhr, sagt er, war der Hund natürlich dabei. Nach dem Einkauf besuchte ich das kleine Wirtshaus in der Kärntnerstraße , um mich bei dem Türsteher hinten auf dem Hof nach einer Adresse zu erkundigen. In diesem Augenblick sah ich einen fremden Mann aus einem Fenster in den Hof herabschauen.
Er ruft etwas, einen Namen. Und wie der Blitz rennt der Hund ins Haus, und die Treppen hinauf, hin zu dem Fremden. Der Hund, von Freude durchflutet, überschlug sich fast. Die Tatsache, dass er dem Ruf des Fremden gefolgt war, ließ keinen Zweifel. Dieser Mann war sein wahrer Herr. Und tatsächlich, er erzählte, er habe den Hund in Russland, und zwar in Moskau, aufgezogen und ihn eben dort vor zehn Monaten verloren.
Aber, sagt das Fräulein, warum sollte das Tier nach seiner Ankunft in Wien gerade Sie auswählen? Warum folgte er gerade
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