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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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treiben. In diesem Haus gebe es nichts als Methoden und Tatsachen.
    Applaus. Er löste Marias Augenbinde, fragte, ob sie bereit sei, und auf Ihr Nicken hin zog er das erste weiße Tuch ab.
    Sie drehte sich zum Publikum. Die Nautilusmuschel, sagte sie, verziert mit silbernen Blättern und Blüten.
    Sie nahm sie in die Hand, drückte sie an ihre Lippen, küsste sie. Allgemeines Klatschen.
    Applaus, Resi!, rief der Vater. Ganz, ganz großer Applaus!
    Mesmer zog ein Tuch nach dem anderen ab. Unter jedem fand sich ein Gegenstand. Und dazu aus ihrem Mund das passende Wort. Und mit jedem Wort ein begeistertes Publikum.
    Zum Abschluss machte sie einen Knicks, drehte sich, blieb leicht schwankend stehen und blinzelte ins Publikum, bis ihr schwindlig wurde. Die Leute johlten. Der Vater stürmte nach vorn. Küsste sie auf die Stirn.
    Gut siehst du aus. Fast, als hätte es nie eine Behandlung gegeben. Sie hörte Dr. von Störcks Räuspern und tippte ihren Vater an.
    Worauf er jäh verstummte. Und mit ihm alle anderen. Sein Gesicht näherte sich dem ihren. Sie wich zurück. Achtung, flüsterte sie. Die Nase! Sie musste lachen.
    Er rief die Mutter.
    Sagte, schau dir das an. Fällt dir etwas auf ?
    Maria drehte schnell den Kopf zur Seite. Was los sei?
    Nichts, nichts.
    Das Doppelnichts. Sie erschrak. In ihrer Familie Chiffre für: Alarmstufe eins. Allerallerhöchste Gefahr. Zu gefährlich, um sie auszusprechen.
    Stillhalten, sagte er. Deine Mutter braucht etwas länger.
    Die Mutter schüttelte den Kopf.
    Und er: Ob sie blind sei.
    Maria spürte den Atem der Mutter auf ihren Lippen.
    Siehst du’s endlich?
    Ah, sagte die Mutter, ja, ich seh’s.
    Was?, sagte er. Was siehst du?
    Ich weiß nicht, sagte sie.
    Siehst du nicht, dass Resis Augen unterschiedlich groß sind?
    Aber natürlich, sagte sie. Jetzt, wo du’s sagst.
    Marias Gesicht begann zu glühen und leicht zu zucken.
    Der Vater wandte sich an Mesmer.
    Er sei ihm zu Dank verpflichtet.
    Wolle seine Leistung keinesfalls schmälern. Aber schauen Sie. Sehen Sie selbst. Das rechte ist kleiner als das linke. Ob man dagegen …
    Ist es schlimm?, wollte sie wissen und erhielt keine Antwort.
    Es wird sich verwachsen, sagte Mesmer.
    So jedenfalls, sagte der Vater, könne sie nicht auftreten. Auf internationalem Parkett.
    Auf einmal spürte sie eine feiste, schweißige Hand, die sie kannte. Die nahm ihre rechte und legte sie direkt in die eisigen Finger Dr. Barths. Und während der sie umklammerte, spürte sie von Störcks gut gepolsterten Finger an ihrer Stirn.
    Nicht bewegen, befahl er.
    Sie bemühte sich. Hörte Dr. Barth mit Dr. von Störck flüstern.
    Nach kurzer Pause sagte Störck, er müsse, ob er wolle oder nicht, etwas sagen.
    Schon bei der Vorführung der Gegenstände habe er es beobachtet. Er habe die Vorführenden aber nicht stören wollen. Jetzt aber sei er gewiss. Die Augen des Fräuleins seien unterschiedlich groß. Solange ich sie behandelt habe, sagte er, wareins wie das andere. Die Ungleichheit müsse Resultat der Mesmer’schen Therapie sein.
    Mesmer sprach von einer Lappalie.
    Störck sagte, Möglicherweise. Und dennoch beobachtungswürdig, Herr Kollege.
    Meinetwegen. Beobachten Sie. Nichts ist heilsamer, als dem Verschwinden zuzusehen, sagte Mesmer. Das wichtigere Resultat sei, dass sie ihre Sehkraft zurückhabe. Und dass die nicht verschwinde.
    So sei es, sagte der Vater. Er sei Mesmer zu großem Dank verpflichtet.
    Er wandte sich an Dr. Störck.
    Was sagen Sie dazu?
    Er sei, sagte Störck, sehr beeindruckt. Sollte es tatsächlich so sein, fügte er hinzu, dass die Tochter wirklich alles, was sie benannte, auch gesehen habe, so täte es ihm leid, dass er so lange gezögert habe, die Wichtigkeit dieser höchst interessanten Entdeckung durch sein Beipflichten durchzusetzen.
    Dr. Barth sagte, es grenze an ein Wunder. Man müsse es der Kaiserin melden. Sofort.
    Ja aber, sagte der Vater. Mit der Kaiserin bitte noch warten. Bis die Lappalie verschwunden sei.
    Aber warum denn?, rief die Mutter.
    Der Vater schlug durch die Luft nach ihr.
    Mesmer sagte, kein Mensch habe ein Auge wie das andere.
    Das werde er im Spiegel überprüfen, sagte der Vater.
    Im Übrigen, sagte er, finde er nun trotzdem, Maria solle der Kaiserin vorspielen. Sie sitze beim Spielen sowieso im Profil zur Kaiserin. Und von der
     Seite sei ja immer nur ein Auge zusehen. Und zur Begrüßung, sagte er, verneigst du dich so tief, dass man deine Augen überhaupt nicht
     sieht. Und jetzt, sagte er, wirst du

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