Am Anfang war die Nacht Musik
für uns spielen.
Und sie hatte sich unter gespannten Blicken ans Instrument gesetzt.
Sie neigt den Kopf zum Publikum, ein wenig nur, um ihnen ihre offenen Augen zu zeigen. Kurzer Jubel. Dann schweigen sie. Sie glauben, sie seien die große Stille. Sie täuschen sich.
Maria hebt die Hände.
Zwölftes Kapitel
12. April 1777
Eine Blinde, die wieder sehen kann, ist eine Nachricht. Schneller als jeder Wetterwechsel. Halb Wien zieht es auf der Landstraße durch die Stadttore hinaus zu Mesmers Anwesen. (Das eigentlich Anna gehört.)
Kranke wollen geheilt werden. Gesunde betteln um Hilfe und karren ihre kranken Nächsten an. Andere, von gesunder Neugier angetrieben, wollen den Doktor sehen. Das Fräulein. Das Wunder. Das Fluidum der Welt.
Menschen, Pferde, Kutschen verstellen den Hof, den Weg bis zur Einfahrt. Kein Fleck, an dem keiner steht oder geht. Zu viele Menschen für einen Tag. Zu wenig Tage für die sich mehrenden Massen.
Fremde platzen ins magnetische Baquet. Stören die Harmonie. Klopfen ans Laboratorium, reißen Mesmer aus seinen Experimenten. Sie klopfen ans Fenster. Dreimal, viermal je vier bis fünf Klopfer. Als müssten sie das Chaos, das sie anrichten, auch noch auf seine Wirklichkeit hin abklopfen. Der Hund weiß nicht mehr, wo Kopf, wo Schwanz. Wann wedeln, wann bellen. Steht nur herum. Versucht beides zugleich. Wie dümmlich er aussieht. Und wie heiser er klingt. Wie zermürbt.
Mesmer wimmelt Leute ab. Bittet sie zu warten. Scheucht sie aus dem Weg. Schickt sie zu Anna. Termine absprechen. Und Anna notiert. Und führt Buch. Ohne Anna wäre alles zusammengebrochen.
Sie hat es vorausgeahnt. Der Nachmittag war noch nicht vorüber, da sprach sie schon vom Erfolg und seinen Folgen. Dass jetzt alles anders werde. Er hat gedacht, sie übertreibe.
Gerade hatte Maria ihr peinvolles, vor Fehlern strotzendes Haydn-Konzert hinter sich gebracht. Und er, um die Stimmung zu heben, hatte sich spontan an seine Gläsermaschine gesetzt. Ein Stückchen Mozart gespielt. Zur Auflockerung der Stimmung. Zur Reinigung der Luft von allen Missklängen, ehe sie sich festsetzten im Raum, in den Wänden, den Köpfen. Was eignet sich dafür besser als die Glasharmonika. Deren Töne fast sichtbar durch den Raum schwimmen bis in die hintersten Winkel. Sich dehnen und dehnen, durch die Fenster hinaus ins Offene.
Anna, die sonst nie weint, weint immer, wenn sie die Glasharmonika hört. Und Störck, aus dem Augenwinkel musste er es mit ansehen, nahm sie am Arm. Goss sich und ihr vom Roten ein. Verschwand mit der Schluchzenden und zwei vollen Gläsern aus dem Saal.
Mit leeren Gläsern und einer lächelnden Anna tauchte er wieder auf, als Riedinger und Hossitzky zum Tanz aufspielten. Anna tanzte ausschließlich mit Störck. Störck ausschließlich mit Anna. Mesmer hielt sich an Maria, die trotz allem wunderbar leicht Menuett tanzte. Besser tanzt als Anna. Weil sie sich viel leichter führen lässt.
Er behielt Anna und Störck im Blick. Der kleine fette Störck und seine große schlanke Anna. Die, von ihm gehalten, ihn um einen Kopf überragend, wild umherschaute. Bestimmt sah sie weder ihn noch Störck oder sonst etwas. Ihre Blicke waren wie Leuchtfeuer. Ausgesandt, um gesehen zu werden.
Man beglückwünschte ihn an jenem Nachmittag oft genug. Zu seiner Entdeckung. Zum erfolgreichen Ergebnis der Behandlung. Zum sehenden Fräulein. Niemanden ließ diese Geschichte kalt. Und man beglückwünschte ihn zu Anna. Keiner, der nicht gern ein Wort mit der Gastgeberin gewechselt hätte. Und mehr als eines. Wo sie war, entstand Gedränge. Sie, in der Mitte. Wie sie lachte. Wie irre. Normalerweise verschont er seine Nächsten vor seinem Arzt-Blick. Aber jetzt konnte er nicht anders. Er sah Anna, und wie sie langsam außer sich geriet.
Nach Sonnenuntergang sammelten sich alle auf der Terrasse. Seht doch, Anna rief und zeigte. Das erste Wetterleuchten des Jahres. Und sofort folgte ihr die Aufmerksamkeit aller. Sie nahm Maria bei der Hand, zog sie, die gern folgte, zum Geländer.
Voilà, Mademoiselle , das allererste Wetterleuchten Ihres Lebens. Genießen Sie es. Sie küsste Maria auf die Stirn, drehte ihren Kopf zu den Blitzen. Das wollte keiner verpassen. Alle drängten sich hinter den beiden Frauen zum Geländer.
Es wäre an ihm gewesen, den Leuten zu zeigen, dass er Maria den Himmel zeigte. Aber das schien Anna gar nicht zu spüren. Hoffentlich auch sonst keiner. Sie war eben schneller. Schnell hier und schnell wieder weg.
Einmal
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