Am Anfang war die Nacht Musik
die Erde zwischen denFingern. Schwarze Klumpen und Brocken fielen klatschend herab. Etwas blieb zwischen den Fingern hängen. Sie strich den Dreck davon ab. Befühlte es mit der Wange. Ein Schneckenhaus. Gefüllt. Bewohnt.
Sie tickte mit dem Fingernagel ans verschlossene Gehäuse.
Resi! Ihr Vater schrie, als sie den Dreck vom Schneckenhaus geleckt hatte. Den mit Matsch vermischten Speichel ihren Eltern vor die Füße spuckte.
Pssst! Du weckst sie. Mit deinem Geschrei. Sie werde die Schnecke mitnehmen. Der Doktor habe ihr erlaubt, sagt sie, sie im Haus aufzubewahren. Im Regal einer Nebenkammer seines Laboratoriums. Bei den medizinischen Würmern. In einem Tongefäß mit Deckel und Luftlöchern. Statt Wasser ein bisschen Erde, ein bisschen Heu oder trockene Blätter. Bis sie erwacht aus ihrem Winterschlaf. Lange werde es nicht mehr dauern. Sie wolle, wenn es so weit sei, dabei sein.
Und weil sie sagte, sie wolle sich das Spektakel anschauen, blieben ihre Eltern still.
Zurück im Haus hatte Kaline ihr geholfen, sich zu säubern, bevor sie den Gästen vorgeführt wurde.
Stimmengewirr im Zimmer, als sie eintrat. Ein gleichmäßiges Dickicht aus gleichlauten Stimmen, wie ein Dickicht aus kleinen regelmäßigen Zweigen. Dort, wo die Amseln ihre Nester bauten. Sie stieg vorsichtig hinein, verschwand darin. Schüttelte Hände, so viele, dass sich bald alle gleich anfühlten. Ihre Hände blieben kalt, und sie rieb sie aneinander. Sie umklammerte eine Tasse heißen Kaffee, den Kaline ihr eingeschenkt hatte, ehe sie mit der dampfenden Kanne die Runde machte.
Aus allen Ecken mischte sich zwischen die Stimmen das Gieß-Geräusch, das sie an den Schlossbrunnen erinnerte. An das über eine niedere Stufe abgeleitete Rinnsal, das den Vögeln als Tränke diente.
Sie hörte Männerstimmen, die sie erkannte. Andere, unbekannte. Doktoren, die einander mit Herr Doktor begrüßten. Alle lobten die Wissenschaften. Einer nannte die Erkenntnis des Menschen die nützlichste von allen.
Leider, sagte ein anderer, sei sie zur Zeit auch die unvollkommenste.
Aber, verteidigte sich Ersterer, man finde doch täglich mehr heraus. Und bei Withof habe er gerade gelesen, dass auch die Alten schon wussten, was er nun beobachte, dass nämlich die weibliche Leiche schneller verrinne als die männliche. Und der weibliche Körper weniger solide sei, dafür ungleich mehr lockere Teile enthalte. Und eine sehr leise, näselnde Stimme, die von dem schwarzen Köter sprach, der im Hof herumliege. So ein struppiges Geschöpf. Ob er den borgen könne. Nur für einen Nachmittag. Für eine neue Idee. Einen kleinen Versuch. Mit großer Wirkung vielleicht.
Und sie hörte Anna sagen, da müsse er wohl ihren Gatten fragen.
Aus der anderen Ecke wollte einer wissen, ob auch elektrische Spielchen auf dem Programm stünden? Ich bitte Sie, war die Antwort, wir sind hier im Palais Mesmer! – Na und? Der habe doch auch eine Elektrisiermaschine im Keller! – Ja, aber wenn er glaube, ein Mesmer begnüge sich mit der Findung von Anwendbarkeiten, dann kenne er den Doktor nicht. Seine Ziele seien doch bei Weitem höhergesteckt! Worauf sie beideglockenhelle Gläser aneinanderstießen, leise lachten und das Lachen mit einem Schluck Cognac hinabspülten.
Sie hörte die Entzückensrufe ihrer Mutter, über die diversen Törtchen und ihre Farben und wie sie korrespondierten mit Frau Mesmers blass-beigem, oder wie solle sie die noble Farbe ihres Kleides nennen, nu, ivoire, champagne ?, aus allen Stimmen herausragen.
Und sie hörte Kaline mit Mesmer flüstern. Und wie Mesmer ihr befahl, den Hund auf der Stelle ins Laboratorium zu bringen. Und nicht zu vergessen, hinter sich abzuschließen. Und ihm den Schlüssel unverzüglich zu bringen.
Und als die Mutter die von Mesmer auf mehrere Tische verteilten, unter weißen Tüchern verborgenen Gegenstände Gespenster nannte und kichernd hinzufügte, Die Gespenster wird unser Fräulein Tochter jetzt für uns erkennen, da wusste Maria, dass es Zeit war, ihren lauen Kaffee abzustellen.
Der Vater schnalzte mit der Zunge und sagte, Im Haus eines Doktors … im Kreis solch hochkarätiger Wissenschaftler … redet man nicht von Gespenstern. Stimmt’s? Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: Gespenster gibt es nur in den Köpfen von Dummköpfen.
Er lachte angestrengt, bis mindestens drei Doktoren mit ihm lachten.
Wer an Gespenster glaube, sagte er, dem werde er jetzt sofort und für alle sichtbar, das Hirngespinst aus dem Kopf
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