Am Anfang war die Nacht Musik
stand sie neben ihm. Ihr Gesicht glühte. Im Gemenge fasste sie seine Hand, drückte sie. Endlich war sie bei ihm.
Hier gehöre sie her, flüsterte er. An seine Seite. Sie sei viel zu lange und viel zu weit fort von ihm gewesen.
Nicht übertreiben, flüsterte sie. Und fügte etwas hinzu. Duhast es geschafft, verstand er. Und von nun an sei alles eine einzige Wunscherfüllung.
Und wer wüsste es besser, als die sich unermüdlich mit allen ins Gespräch verwickelnde Anna. Und während Maria dem staunenden Publikum zum Abschied die Sterne zählte, die so ernst auf sie herabblickten, machte Anna ihre Hand von seiner schon wieder los und wurde sofort von der Menge aufgesogen.
Die Gäste waren längst fort, die Hausbewohner in ihren Zimmern, da hat Anna noch weitergefeiert. Wie auf Schatten verklungener Töne tanzte sie durch die Räume. Er schob es auf den Wein. Er setzte sich an die Gläsermaschine. In der Hoffnung, sie zur Besinnung zu bringen.
Sie goss zwei Gläser Roten ein. Voll bis obenhin.
Sie müsse seinen Erfolg auskosten, wenn er es nicht tue.
Ob sie nicht genug getrunken habe?
Genug, sagte sie. Das Wort kenne sie nicht. Hob das Glas.
Was es da auszukosten gebe, solange es von der Kaiserin nichts gebe, sagte er. Das Fräulein habe gespielt wie eine blinde Anfängerin.
Anna meinte, das habe außer ihrem Vater und Riedinger keiner bemerkt. Sie hätten die Fehler gehört, aber nicht zur Kenntnis genommen. Riedinger sei ganz vernarrt in das Fräulein. Und der Vater habe beide Augen zugedrückt, aus Freude, dass seine Tochter nun mit offenen Augen durch die Welt sehe. Sie bekomme noch eine Chance.
Eine, sagte Mesmer, genüge nicht. Sie bräuchte viele. Und unendlich Zeit dazu. Warum also feiern.
Er begann zu spielen. Improvisierte. So wie ihm Haydn, als er zu Besuch gewesen war, geraten hatte. Immer der eigenen Phantasie nach.
Das Nächste, woran er sich erinnert. Anna, die ihm von hinten die Arme um den Hals warf. Im neuesten Nachtkleid. Das schimmert wie das Innere einer Muschel. Er sah den transparenten Stoff auf ihren Armen.
Libellenflügel, in weißen Zucker gegossen.
Die Gläsermaschine sei gefährlich, sagte sie. Die Gläsermaschine zerrütte die Nerven. Hörst du nicht?, sagte sie. Diese Töne. Machen einen doch wahnsinnig.
Ihre Fingerkuppen strichen an seinem Hals entlang.
Als er nicht reagierte, sagte sie, Die Glasharmonika macht die Menschen krank. Melancholisch. Das habe Herr von Störck gesagt.
Er hielt inne. Ob sie so einen Unsinn glaube?
Sie schüttelte den Kopf.
Was er sonst noch gesagt habe?
Nichts. Er sei schwer beeindruckt.
Von was?
Vom wie durch ein Wunder geheilten Fräulein.
Ob er das gesagt habe?
Ja. Er habe es mit einem Wunder verglichen.
Es sei kein Wunder, sagte er. Es sei eine Methode. Er sei Wissenschaftler.
Hauptsache, Störck hat gesehen, dass sie sieht. Anna zuckte die Schultern und überraschte ihn mit einem samtenen Säckchen, das sie ihm in die Hand drückte.
Je glücklicher eine Frau, desto freigebiger sei sie, sagte sie.
Und er, ob es nicht heißen müsse, je freigebiger, desto verzweifelter. Das sei seine Erfahrung. Mit Frauen.
Nein, er täusche sich. Sie lachte ihn aus. Zwar sei er der Arzt, aber wie eine Frau sich fühle, das müsse er schon ihr überlassen.
Sie wartete. Gespannter auf seine Reaktion als er auf den Inhalt des Säckchens.
Er hatte es in die Tasche gesteckt.
Später, hat er gesagt.
Gott sei Dank wird nicht immer alles so verstanden, wie es gemeint ist.
Anna drängte sich sofort zwischen ihn und das Instrument. Er ließ sie.
Sie umfasste seinen Kopf. Goss ihren Blick in ihn. So empfand er ihn. Wie eine Substanz. Eine magnetische Quelle.
Ein Blick, der augenblicklich all seine Gedanken auf Anna bündelte. Alles vertrieb, was von ihr ablenkte. Seine Musik, seine Medizin, seine Zweifel. Seine Wortlosigkeit in Schweigen verwandelte.
Ihre Hand, die so flink war an seinem Leib. Wie die Stallschwalben im Sommer. Wie Sternschnuppen im August. Und leicht wie die Girlanden, die bald die Bäume schmücken würden. Und zierlich wie die feinsten Ranken des Kletterweins an der Hauswand. Oder eine Mozart’sche Etüde.
Im Unterschied zu ihrer Hand hatte Annas Blick Gewicht. Zog ihre Köpfe zueinander wie eine Schwerkraft. Während ihre Hand wie unverbindlich an ihm herumflatterte. Dass Blick und Hand so gegensätzlich sein können. Wie trotzdem messbar Stoffliches in unmessbar Stoffliches überfließt.
Ohne eine Grenze. Überall sonst
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